Kampf im Kopf

8. Februar 2020 at 23:07

Manche Leute sind oft auf so einer Art „Kampftrip“. Naja. Aber so sind wir seit Jahrtausenden erzogen: Mach etwas dagegen. Aber so lange wir eben gegen etwas sind, haben wir – was?! – Krieg! Und immer gehört dazu, daß die Kriegstreiber sich hinstellen und rufen: „Ich weiß, wie es richtig geht! Ich rotte alles aus, was dem nicht entspricht.“ Warum sehen die Leute das denn nicht bei sich selbst?? Weil wir es generell natürlich auch nicht sehen – und Dinge bei sich selbst zu sehen ist ja sowieso schon schwer genug. Tja, und natürlich all diese Moral und zugehörigen Konzepte machen es nun auch nicht besser.

Früher war ich so felsenfest überzeugt von mir, daß bestimmte Sachen nicht an mich heran konnten. Was hat sich geändert, daß das nun anders ist? Wo ist dieses innere Selbstverständnis geblieben?! Und ich meine jetzt die Zeit vorm Aufwachen. Ja, ich muß hier schlußfolgern, daß das Aufwachen diesen Teil in mir quasi aufgeweicht hat. A-haa! Mit dem Aufwachen wird ja das „falsche Selbst“ aufgelöst. Das hat mit unseren Denkstrukturen zu tun oder anders ausgedrückt, mit der Auflösung dessen, wofür wir uns im Kern halten, von dem, was wir „Identität“ nennen, alle Glaubenssätze, mit denen wir uns identifizieren.

Es ist also ein „Gedankenprojekt“, mit dem ich mich identifiziere. Mit dem Einheits-Empfinden, das wir erleben, wenn das Duale sich verbindet und somit transformiert, fallen wir in eine andere Perspektive. Man kann dann ideologisch an nichts mehr andocken. Solange man vom Empfinden her in diesem Einheitsgefühl ist, sind sämtliche Handlungen spontan, intuitiv und entwachsen direkt aus diesem Einheitsgefühl heraus – diese Handlungen sind nicht „ausgedacht“ oder basieren auf Meinungen oder Annahmen. So ist es, wenn man voll und ganz verbunden ist. Nichts kann hier wirklich „schiefgehen“; alles ist im Lot und im Gleichgewicht, solange ich verbunden bin und von meinem Einheitsempfinden her handele.

Wenn ich aber wieder herausfalle aus diesem Zustand, fange ich erneut an, Gedanken zu züchten und somit Glaubenssätze und Meinungen zu unterhalten. Hierdurch begebe ich mich dann ideologisch auf sehr dünnes Eis: Zum einen verstehe ich zwar im Kern alle Zusammenhänge, denn das Wissen um die Einheit verschwindet nicht; nun wird dieses Wissen allerdings zu einer neuen Ideologie! Und das macht es dann schwierig, denn mit einer Ideologie im Hintergrund muß ich wieder etwas verteidigen in mir. Dadurch habe ich wieder etwas verschoben in meinem Kern des Seins und somit meines Lebensempfindens.

Wie schaffen es all die spirituellen LehrerInnen und SchülerInnen, nicht wieder vom Einheitspfad abzuweichen? Sie nennen sich oft „Krieger“. Gemeint ist der Krieg, den man permanent in seinem eigenen Denken austrägt. Relevant ist hierbei, die neue Erfahrungswelt des Aufgewachtseins nicht in ein neues Gedankenkonstrukt zu pressen, sondern in einer neutralen inneren Haltung zu bleiben; nicht lediglich als Beobachter meiner eigenen Handlungen und dem Gang der Welt, sondern unhinterfragt im Impuls-gesteuerten Handeln zu bleiben.

Ein Glaubenssatz, der hierbei total hinderlich ist, geht direkt aus dem Einheits-Empfinden hervor und besagt: Alle Dinge – d.h. alles, was existiert sowie alle Handlungen – sind im Kern gleichberechtigt. Denn alles, was existiert entstammt der Energie von Allem-was-Ist. Hieraus habe ich dann gefolgert, daß es im Kern nicht wesentlich oder wichtig ist, in welche Richtung ich oder irgendein anderer sich bewegt oder handelt. Zeitgleich bin ich jedoch mit all meinen neuen Erkenntnissen aus dem Einheitszustand verbunden, was ideologisch dann zum Beispiel zu all diesen „spirituellen Glaubenssätzen“ führen kann. An der Oberfläche habe ich dadurch durchaus ein neues gedankliches Konstrukt geschaffen, nach dem ich mich ausrichte, wobei es aber im Kern hierfür genau genommen gar keine Grundlage mehr gibt. Das Leben ist kein gedankliches Konstrukt bzw. eine Identität, die wir uns durch unsere Gedanken und Annahmen erschaffen, sondern das Leben ist das spontane Handeln direkt aus dem eigenen inneren Kern heraus – jene Handlungs-Impulse, die wir manchmal „Intuition“ nennen. Wenn ich aber aus meiner neuen Erfahrung wiederum ein neues Gedanken- bzw. Glaubensgebäude errichtet habe, bin ich genausowenig mit meinen inneren Impulsen oder meinem Kern verbunden, als hätte ich die Einheitserfahrung garnicht gemacht.

Ein Krieger hingegen ringt ständig darum, sich nicht von seinen – neuen oder alten – Gedanken oder Erkenntnissen leiten zu lassen, sondern arbeitet unaufhörlich daran, in seiner inneren Verbindung zu bleiben. Er wertet und hinterfragt seine Impulse nicht, sondern folgt ihnen bedingungslos. Er bastelt aus seinen Erfahrungen kein neues Identitätskonzept! Denn wenn ich mich wieder identifiziere mit neuen Glaubenssätzen, hänge ich mich hiermit doch wieder nur an neue Gedankenkonstrukte und rechne mich Personengruppen zu, die scheinbar „auf meiner neuen Welle“ sind. Und schon bin ich gefangen in einem neuen Gedankenkonzept, ohne es zu merken. Glaubenssätze beschreiben stets eine Ideologie und füttern eine Identität, die ich mir mit ihnen aufgebaut habe. Es handelt sich um all jene Ideen und Ansichten, die ich für wahr und richtig halte und muß sie daher verteidigen (meine Identität, meine Glaubenssätze).

Zwar verteidigt jemand, der die Dualität durchdrungen hat nach Außen hin seine Ansichten nicht, denn er weiß ja, daß alle Blickwinkel gleichberechtigt sind, aber er hat aufgrund seiner neuen Glaubenssätze Schwierigkeiten ins Handeln zu kommen, wenn er sich von seiner „inneren Egalität“ leiten läßt. Dann bleibt er auf seinem Beobachtungsposten sitzen, der durch die neue Perspektive ermöglicht wird. Hierdurch merkt er noch weniger, daß er seine Anbindung ans Leben längst verloren hat.

Unser Body, unser Körper ist derjenige Teil von uns, der sich immer bedingungslos im Hier+Jetzt aufhält. Unser Körper ist unsere handelnde Einheit, nicht unsere Gedanken. Sind wir in unserer Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in unserem Körper zentriert, so können wir seinen Handlungsimpulsen folgen. Was wir aber tun ist, jeden ursprünglichen Impuls in unseren Gedanken zu diskutieren und hierdurch sofort anzuzweifeln! „Soll ich, soll ich nicht?“, „Was sind die Vor- und Nachteile?“ etc. Sobald wir einen Impuls verspüren, fangen wir sofort diese Diskussion im Kopf an. Das ist exakt der Grund, weshalb die SchülerInnen von ihren spirituellen LehrerInnen lernen, bedingungslos zu Handeln und die Handlungen nicht zu diskutieren. Ein Krieger diskutiert seine Impulse nicht, er setzt sie um – bedingungslos und spontan.

Solange ich also Ideen über mich selbst unterhalte – wie zum Beispiel die Vorstellung einer „spirituellen Schriftstellerin“ – und hieraus bestimmte Vorstellungen für mein Leben und meinen Lebensstil ableite, werde ich aus einer Diskrepanz derjenigen Dinge, die ich mir wünsche und jenen, die ich vorfinde, nicht herauskommen. Denn ich nähre dadurch ein spezifisches Idealbild von mir, das durch meine gezüchteten Glaubenssätze entstanden ist. Aus dieser Diskrepanz heraus rühren all meine Widerstände! – aus meiner Vorstellung, wie etwas idealerweise zu sein hätte und andererseits meiner Wahrnehmung, die Welt nicht so vorzufinden, wie ich es mir wünsche oder vorstelle. Wäre ich allerdings in der Lage, mich in der Welt, die ich vorfinde, wohlzufühlen und sie anzunehmen wie sie ist, verschwinden die inneren Widerstände und alles wird leicht.

Sämtliches Unwohlsein und alle Widerstände entstammen jenen Vorstellungen, die ich mir in meinen Gedanken über mich und die Welt mache sowie der Wahrnehmung von allem, was in meiner Idealvorstellung nicht hier hineinpaßt. Könnte ich meine rigide Vorstellung davon, wie meine Welt zu sein hätte loslassen, wäre ich in der Lage, mich ungehindert wie ein Fisch im Wasser in meiner Welt zu bewegen. Meine Handlungen wären nicht mehr an Bedingungen gebunden (z.B. daran, etwas erreichen zu wollen, was wir nicht haben; nur bestimmte Handlungen auszuagieren, die in unser Bild von uns selbst passen; Impulse zu ignorieren, die vordergründig nicht unseren Zielen oder inneren Bildern entsprechen usw.)

Ein wahrer Krieger oder jemand, der sein Aufgewachtsein lebt, ist jedoch frei von derlei Überzeugungen bzw. hat gelernt, sich bedingungslos nach seinen inneren Impulsen auszurichten und nicht nach seiner privaten Meinung. Vielleicht hat ein Aufgewachter noch ein inneres Bild von sich, doch es ist neutral im Hintergrund, es bestimmt nicht sein Leben! Seine spontanen Handlungen, mit denen er durch seine Impulse verbunden ist, bestimmen sein Leben. Richte ich mich allerdings – so wie allgemein üblich – nach meinem persönlichen Idealbild aus, dem Bild, was ich von mir unterhalte, geraten ursprüngliche Handlungsimpulse in den Hintergrund und ich bin vordergründig permanent mit meinem Selbstbild beschäftigt und in dem Bemühen verstrickt, mich und meine gesamte Welt danach auszurichten oder nötigenfalls umzubiegen. Einer von vielen Effekten einer solchen Lebensweise ist, daß ich unaufhörlich Widerstände verspüre, meine Welt als „unvollkommen“ empfinde und allgemein in irgendeiner Form hierunter leide. Will ich meine inneren Widerstände loswerden, muß ich sämtlichen Idealismus mich selbst oder die Welt betreffend, in den Hintergrund verbannen.

Um ins Hier+Jetzt zu fallen, muß ich die Finger von meinen rigiden Vorstellungen lassen und ins freie Handeln übergehen, meinen Impulsen folgen, ohne diese zu diskutieren, und am besten sämtliche Selbstbilder, die ich von mir und meiner Rolle in diesem Leben unterhalte, ad acta legen. Denn das ist Freiheit! – wenn ich nichts mehr verteidigen oder einem bestimmten inneren Bild entsprechen muß.  🙂

(Spax  8.2.20)

Siehe zu diesem Themenkomplex auch
Stimmen im Kopf  (13.11.16)
Diskussion im Kopf  (25.04.16)
Kontinuität oder Flow  (18.3.13)

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