kreativer Modus

4. Oktober 2020 at 01:19

Ganz offensichtlich gibt es total verschiedene Typen, was das Konzept für die Umsetzung der eigenen Kreativität betrifft: Es gibt Leute, die haben einen Vollzeitjob, Ehepartner und Kinder, und setzen sich trotzdem nachts oder wann auch immer hin, um „ihr Ding“ zu machen, um nachts dann z.B. noch Bücher zu schreiben. Andere bauen es fest in ihren Tagesablauf und da wird zu ganz bestimmten Zeiten „gewerkelt“ und an der eigenen Sache weitergearbeitet. Es gibt jede Menge Leute, die können das irgendwie in ihren Alltag einbauen, ihre Sehnsucht nach dem eigenen Ausdruck.

Und dann gibt es Leute wie mich; und das sind Leute, die brauchen ein längeres terminfreies Zeitband, um überhaupt mit „ihrem Ding“ anzufangen. Hierbei genügt dann nicht ein kleiner terminfreier Tag, sondern Leute wie ich benötigen den terminfreien Blick mehrerer Tage oder sogar einer noch längeren Zeitspanne, um überhaupt einen Anfang zu finden. Vielleicht nehmen wir unsere Kreativität nicht wichtig genug, um sie im Alltäglichen einzubauen. Oder wir nehmen sie zu wichtig, so daß sie das Alltägliche verdrängt. Vermutlich keins von beidem. Für uns ist unsere Kreativität eine Frage der inneren Verbundenheit: Wir können entweder in der Verbundenheit sein oder im Alltäglichen. Doch solange im Hintergrund Anforderungen (z.B. Pflichten des Alltags) und – insbesondere – eine Geldarbeit an uns zerren, sind wir nicht in der Lage, in unseren kreativen Modus zu wechseln. Es ist wie eine Sperre. Und kein Trick dieser Welt scheint dies ändern zu können, denn über die Zeit haben wir alle Tips + Tricks schon ausprobiert, aber nichts greift auf Dauer. Wir gelangen erst in unseren kreativen Modus, wenn wir uns innerlich frei fühlen von diesen Pflichten, Terminen und sonstigen Anforderungen.

Dies ist bei uns mit ein Grund für′s Aufschieben. Wir schieben die Pflichtsachen nach hinten, um uns ein, zwei Tage innere Freiheit zu verschaffen. Da die Pflichten dadurch aber nicht fort sind, sondern bloß nach hinten geschoben, nagen sie die ganze Zeit an uns und wir sind daher trotzdem nicht in der Lage, die freigeschobene Zeit auch tatsächlich für unsere Kreativität zu nutzen. Das sind dann Tage, die uns besonders ärgern, weil wir trotz Schieben uns dennoch nicht frei fühlen können. Wir lesen in dieser Zeit oder spielen Computerspiele oder schauen uns Filme an, um hierüber vielleicht jenen Knoten im Bauch zu lösen, um das nötige Entspannungsgefühl für unsere Kreativität zu erzeugen. Aber meistens funktioniert es nicht wirklich. Denn das Pflichtthema ist nicht fort, es lauert am Horizont, und sei es nur zwei Tage später. Für uns scheint dieser Pflicht- und Alltagsmodus schlichtweg nicht vereinbar mit dem kreativen Dasein. Es sind zwei unterschiedliche Schwingungen oder „Seinsweisen“, die sich bei uns offenbar gegeneinander vollkommen ausschließen.

Finden wir uns aber endlich einmal im kreativen Modus, so können wir durchaus alltägliche Dinge in diesen Rhythmus einbauen – immer solange wir unsere Zeit frei wählbar einteilen können. Wir können dann sogar ab und an Alltagstermine wahrnehmen, da sie unsere Kreativität nicht beeinflussen oder behindern, wenn wir verbunden sind. Solange diese Termine und Anforderungen uns nicht zu sehr ins Alltägliche ziehen, können wir sie „nebenher“ erledigen. Sobald uns der Alltag aber wieder einfängt mit all seinen Anforderungen und/oder auch selbstgewählten Verpflichtungen, fallen wir nach und nach wieder heraus aus unserem kreativen Modus.

Solange wir im kreativen Modus sind, fühlen wir uns stabil und sind ausgeglichen. Je mehr wir herausfallen, desto unzufriedener werden wir mit uns, auch weil das Denken jetzt wieder vermehrt das Alltägliche priorisiert. Wir fühlen uns immer nur „halb“, nicht ganz vollständig und unzufrieden, wenn wir nicht in unserem kreativen Modus sind. Manchmal bemerken wir es, wenn wir nach und nach wieder herausfallen; manchmal wissen wir, daß wir eine Zeitlang irgendwelchen Pflichtaktivitäten nachgehen müssen und in dieser Zeit unsere Kreativität ruhen wird; manchmal bemerken wir es aber auch garnicht, wenn wir peu à peu wieder herausfallen. All dies ist ein fortwährendes inneres Gezerre, und immer vermissen wir dann unseren kreativen Flow, geben uns stets „die Schuld“, wenn wir wieder herausgefallen sind; beneiden jene anderen, die ganz offensichtlich mit diesem Problem nicht zu ringen haben; beneiden jene, die fortwährend kreativ sind und bedauern die Zeit, in der auch wir selbst hätten Werke schaffen können – aber wir konnten es nicht.

Natürlich nützen all diese Vorwürfe nichts und helfen nicht dabei, wieder in den kreativen Modus zu gelangen. Aber es scheint uns auch nicht gegeben, dies willentlich ändern zu können. Wir fühlen uns nur dann frei für Kreatives, wenn eine zeitlang das Geldthema nicht an uns nagt oder von uns Dinge verlangt werden, denen wir garnicht nachgehen möchten. Und da ich jetzt schon einige Jahre mit diesem Thema ringe und alle Tricks zur Selbstüberlistung ausprobiert habe, kann ich nur schlußfolgern, daß Leute wie ich innerlich anders aufgestellt sind als andere Leute.

Vielleicht gelingt es anderen deshalb besser, ihre Kreativität ins Alltägliche einzubauen, weil sie sich grundsätzlich besser mit dem Alltäglichen verbunden fühlen. Für so jemanden besteht dann keine Diskrepanz zwischen Alltäglichem und Kreativem, denn sie haben tiefe Wurzeln im Alltäglichen, die unsereinem fehlen.

Hierbei taucht dann die Frage auf, weshalb wir so sehr mit dem Alltäglichen ringen. Wir können uns nicht einordnen ins allgemeine Denken. Wir haben vielleicht von Anbeginn Schwierigkeiten gehabt, Autoritäten zu folgen und damit all jenem, was der Status quo uns allgemein als Weltsicht vorschreibt. Wir stellen von Anfang an dieses Konzept und diese Weltsicht in Frage. Wir haben gelernt und erfahren, daß man eben „nicht dazugehört“, wenn man dem allgemeinen Gusto nicht folgt, sondern stattdessen versucht, eigene Ideen oder eine andere Lebensweise umzusetzen. Der Status quo, die allgemeine Meinung, ächtet solche Leute. Von daher ist es zwangsläufig so, daß wir uns im Alltäglichen nicht besonders wohlfühlen können, eben weil wir nicht dazugehören, auch wenn wir uns noch so sehr bemühen und manchmal sogar anbiedern. Dies erzeugt eine tiefe innere Unsicherheit und folglich auch stets das verborgene Empfinden im Hintergrund, etwas „Unrechtes“ zu tun, sobald wir unseren eigenen Ideen folgen. Jemand, der „fest im Leben steht“ und nicht mit den vorgegebenen Prämissen ringt, hat dieses inwendige Problem nicht. Wir haben von Anbeginn gelernt, daß unsere Ideen nicht willkommen sind. Und diese Diskrepanz wird bestehen bleiben, weil wir dies nicht einmal durch „Anbiederungsversuche“ ändern könnten.

Die Welt lehnt Leute wie uns ab; und es ist, als lebten wir auf kleinen „Kreativ-Inseln“, abgesondert vom allgemeinen Strom. Wir können nur entweder auf unserer Insel sein (in unserem Kreativbereich) oder auf dem großen Festland (dem Alltäglichen), auf dem wir uns aber stets unwohl fühlen und wie ein Eindringling, ein Fremdkörper. Das ist ein gutes Bild mit der Insel, denn es zeigt sehr deutlich, wie es sich anfühlt und erklärt bildlich diese Diskrepanz. Diese Insel, sie zieht an uns, ruft nach uns, unaufhörlich. Wir fühlen uns nur dann „vollständig“, wenn wir auf dieser Insel sind!!

(Spax  4.10.20)

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