kreativer Modus
Ganz offensichtlich gibt es total verschiedene Typen, was das Konzept für die Umsetzung der eigenen Kreativität betrifft: Es gibt Leute, die haben einen Vollzeitjob, Ehepartner und Kinder, und setzen sich trotzdem nachts oder wann auch immer hin, um „ihr Ding“ zu machen, um nachts dann z.B. noch Bücher zu schreiben. Andere bauen es fest in ihren Tagesablauf und da wird zu ganz bestimmten Zeiten „gewerkelt“ und an der eigenen Sache weitergearbeitet. Es gibt jede Menge Leute, die können das irgendwie in ihren Alltag einbauen, ihre Sehnsucht nach dem eigenen Ausdruck.
Und dann gibt es Leute wie mich; und das sind Leute, die brauchen ein längeres terminfreies Zeitband, um überhaupt mit „ihrem Ding“ anzufangen. Hierbei genügt dann nicht ein kleiner terminfreier Tag, sondern Leute wie ich benötigen den terminfreien Blick mehrerer Tage oder sogar einer noch längeren Zeitspanne, um überhaupt einen Anfang zu finden. Vielleicht nehmen wir unsere Kreativität nicht wichtig genug, um sie im Alltäglichen einzubauen. Oder wir nehmen sie zu wichtig, so daß sie das Alltägliche verdrängt. Vermutlich keins von beidem. Für uns ist unsere Kreativität eine Frage der inneren Verbundenheit: Wir können entweder in der Verbundenheit sein oder im Alltäglichen. Doch solange im Hintergrund Anforderungen (z.B. Pflichten des Alltags) und – insbesondere – eine Geldarbeit an uns zerren, sind wir nicht in der Lage, in unseren kreativen Modus zu wechseln. Es ist wie eine Sperre. Und kein Trick dieser Welt scheint dies ändern zu können, denn über die Zeit haben wir alle Tips + Tricks schon ausprobiert, aber nichts greift auf Dauer. Wir gelangen erst in unseren kreativen Modus, wenn wir uns innerlich frei fühlen von diesen Pflichten, Terminen und sonstigen Anforderungen.
Dies ist bei uns mit ein Grund für′s Aufschieben. Wir schieben die Pflichtsachen nach hinten, um uns ein, zwei Tage innere Freiheit zu verschaffen. Da die Pflichten dadurch aber nicht fort sind, sondern bloß nach hinten geschoben, nagen sie die ganze Zeit an uns und wir sind daher trotzdem nicht in der Lage, die freigeschobene Zeit auch tatsächlich für unsere Kreativität zu nutzen. Das sind dann Tage, die uns besonders ärgern, weil wir trotz Schieben uns dennoch nicht frei fühlen können. Wir lesen in dieser Zeit oder spielen Computerspiele oder schauen uns Filme an, um hierüber vielleicht jenen Knoten im Bauch zu lösen, um das nötige Entspannungsgefühl für unsere Kreativität zu erzeugen. Aber meistens funktioniert es nicht wirklich. Denn das Pflichtthema ist nicht fort, es lauert am Horizont, und sei es nur zwei Tage später. Für uns scheint dieser Pflicht- und Alltagsmodus schlichtweg nicht vereinbar mit dem kreativen Dasein. Es sind zwei unterschiedliche Schwingungen oder „Seinsweisen“, die sich bei uns offenbar gegeneinander vollkommen ausschließen.
Finden wir uns aber endlich einmal im kreativen Modus, so können wir durchaus alltägliche Dinge in diesen Rhythmus einbauen – immer solange wir unsere Zeit frei wählbar einteilen können. Wir können dann sogar ab und an Alltagstermine wahrnehmen, da sie unsere Kreativität nicht beeinflussen oder behindern, wenn wir verbunden sind. Solange diese Termine und Anforderungen uns nicht zu sehr ins Alltägliche ziehen, können wir sie „nebenher“ erledigen. Sobald uns der Alltag aber wieder einfängt mit all seinen Anforderungen und/oder auch selbstgewählten Verpflichtungen, fallen wir nach und nach wieder heraus aus unserem kreativen Modus.
Solange wir im kreativen Modus sind, fühlen wir uns stabil und sind ausgeglichen. Je mehr wir herausfallen, desto unzufriedener werden wir mit uns, auch weil das Denken jetzt wieder vermehrt das Alltägliche priorisiert. Wir fühlen uns immer nur „halb“, nicht ganz vollständig und unzufrieden, wenn wir nicht in unserem kreativen Modus sind. Manchmal bemerken wir es, wenn wir nach und nach wieder herausfallen; manchmal wissen wir, daß wir eine Zeitlang irgendwelchen Pflichtaktivitäten nachgehen müssen und in dieser Zeit unsere Kreativität ruhen wird; manchmal bemerken wir es aber auch garnicht, wenn wir peu à peu wieder herausfallen. All dies ist ein fortwährendes inneres Gezerre, und immer vermissen wir dann unseren kreativen Flow, geben uns stets „die Schuld“, wenn wir wieder herausgefallen sind; beneiden jene anderen, die ganz offensichtlich mit diesem Problem nicht zu ringen haben; beneiden jene, die fortwährend kreativ sind und bedauern die Zeit, in der auch wir selbst hätten Werke schaffen können – aber wir konnten es nicht.
Natürlich nützen all diese Vorwürfe nichts und helfen nicht dabei, wieder in den kreativen Modus zu gelangen. Aber es scheint uns auch nicht gegeben, dies willentlich ändern zu können. Wir fühlen uns nur dann frei für Kreatives, wenn eine zeitlang das Geldthema nicht an uns nagt oder von uns Dinge verlangt werden, denen wir garnicht nachgehen möchten. Und da ich jetzt schon einige Jahre mit diesem Thema ringe und alle Tricks zur Selbstüberlistung ausprobiert habe, kann ich nur schlußfolgern, daß Leute wie ich innerlich anders aufgestellt sind als andere Leute.
Vielleicht gelingt es anderen deshalb besser, ihre Kreativität ins Alltägliche einzubauen, weil sie sich grundsätzlich besser mit dem Alltäglichen verbunden fühlen. Für so jemanden besteht dann keine Diskrepanz zwischen Alltäglichem und Kreativem, denn sie haben tiefe Wurzeln im Alltäglichen, die unsereinem fehlen.
Hierbei taucht dann die Frage auf, weshalb wir so sehr mit dem Alltäglichen ringen. Wir können uns nicht einordnen ins allgemeine Denken. Wir haben vielleicht von Anbeginn Schwierigkeiten gehabt, Autoritäten zu folgen und damit all jenem, was der Status quo uns allgemein als Weltsicht vorschreibt. Wir stellen von Anfang an dieses Konzept und diese Weltsicht in Frage. Wir haben gelernt und erfahren, daß man eben „nicht dazugehört“, wenn man dem allgemeinen Gusto nicht folgt, sondern stattdessen versucht, eigene Ideen oder eine andere Lebensweise umzusetzen. Der Status quo, die allgemeine Meinung, ächtet solche Leute. Von daher ist es zwangsläufig so, daß wir uns im Alltäglichen nicht besonders wohlfühlen können, eben weil wir nicht dazugehören, auch wenn wir uns noch so sehr bemühen und manchmal sogar anbiedern. Dies erzeugt eine tiefe innere Unsicherheit und folglich auch stets das verborgene Empfinden im Hintergrund, etwas „Unrechtes“ zu tun, sobald wir unseren eigenen Ideen folgen. Jemand, der „fest im Leben steht“ und nicht mit den vorgegebenen Prämissen ringt, hat dieses inwendige Problem nicht. Wir haben von Anbeginn gelernt, daß unsere Ideen nicht willkommen sind. Und diese Diskrepanz wird bestehen bleiben, weil wir dies nicht einmal durch „Anbiederungsversuche“ ändern könnten.
Die Welt lehnt Leute wie uns ab; und es ist, als lebten wir auf kleinen „Kreativ-Inseln“, abgesondert vom allgemeinen Strom. Wir können nur entweder auf unserer Insel sein (in unserem Kreativbereich) oder auf dem großen Festland (dem Alltäglichen), auf dem wir uns aber stets unwohl fühlen und wie ein Eindringling, ein Fremdkörper. Das ist ein gutes Bild mit der Insel, denn es zeigt sehr deutlich, wie es sich anfühlt und erklärt bildlich diese Diskrepanz. Diese Insel, sie zieht an uns, ruft nach uns, unaufhörlich. Wir fühlen uns nur dann „vollständig“, wenn wir auf dieser Insel sind!!
(Spax 4.10.20)
Ich denke auch oft, Dauerverpflichtungen würden mich unterschwellig abhalten, meine eigentlichen Ziele zu verfolgen.
Aber wenn ich in den „Analyse-Modus“ gehe, stelle ich fest, dass es sich um ein viel zu komplexes Thema handelt, als dass ich die Notwendigkeiten meines Alltagslebens verantwortlich machen könnte. Es gibt vielerlei Aspekte, die meine – ich nenne sie mal so – Passivitätsphasen auslösen, die immer länger zu werden scheinen.
Bei dem Gedanken, ich könnte ein Typ Mensch sein, der die totale Freiheit braucht, um sich verwirklichen zu können, entsteht in mir ein gewisser Trotz, weil sich mir die totale Freiheit leider nicht bieten wird in diesem Dasein. Soll ich also aufgeben? Ich habe den Lebenslauf von so vielen mehr oder weniger oder sehr erfolgreichen Menschen gelesen und zahlreiche Interviews, sodass ich weiß, die haben alle mein Problem. Ich stehe also nicht alleine da mit meiner Wankelmütigkeit.
Da wäre zunächst die Bequemlichkeit. Ich kann nicht leugnen, dass ich für meine angebliche Lieblingsbeschäftigung – in meinem Fall Musikproduktionen als Autodidakt mit professionellem Anspruch – so etwas wie Überwindung aufbringen muss. Es gilt also zunächst, zu ergründen, warum das so ist und warum das früher nicht so war. Ich habe einst über Jahre während eines Fulltimejobs nebenher eine CD produziert in allabendlicher stundenlanger Tätigkeit. Heute wundere ich mich über die Energie, die ich damals hatte. Wäre mir im Moment viel zu anstrengend. Warum? Weil das Ziel nicht mehr so erstrebenswert ist, wie es damals schien, die „Belohnung“ braucht es nicht mehr. Natürlich war der Schaffensprozess begeisternd. Das ist auch heute noch so. Aber damals fehlte es mir an Lebenserfahrung und „Erfassung der Gesamtheit“. Heute ist mir klar, was es bedeutet, Milliarden Menschen auf der Erde zu haben. Konkurrenz! Ich wurde damals freilich zu einem Teil getrieben durch die Hoffnung, eines Tages kommerziellen Erfolg zu erzielen. Inzwischen ist mir diesbezüglich das Erfolgs-Gen abhanden gekommen aus zwei Gründen: Berufliche und finanzielle Entwicklung auf anderen Gebieten macht einen Erfolg mit meiner Lieblingsbeschäftigung nicht mehr erforderlich. Und der Wunsch nach Anerkennung ist durch persönliche Reife verschwunden. Somit bleiben in meinem Fall folgende Antriebsmechanismen übrig: Spaß an der Sache („Der Weg ist das Ziel“) und Perfektionismus („qualitativ kommerziellen Produktionen entsprechen“).
An dieser Stelle wieder zurück zur Bequemlichkeit. Es ist für mich so viel einfacher, die Ideen Anderer auf Youtube toll zu finden, dass ich mich schon viele Stunden darin verloren habe und immer noch verliere. Die recht schnelle Anerkennung durch Fragesteller in sozialen Medien, wo ich in verschiedenen Gruppen Hilfestellung gebe und konstruktive Kritik äußere, bindet meine Aufmerksamkeit und Zeit – und hält mich von meiner persönlichen Weiterentwicklung ab. Dem Internet zu widerstehen ist aktive Arbeit! Die will ich oft genauso wenig leisten wie die Arbeit zur Fortführung meiner persönlichen Projekte.
Wenn ich nun immer häufiger der Meinung bin, die verdammten Verpflichtungen würden mir verwehren, meine mir am Herzen liegenden Projekte zu verfolgen, bin ich nicht ehrlich zu mir. Ich begebe mich in eine Opferhaltung! Dabei mangelt es mir lediglich an konsequenter Selbstbestimmung. Ich habe mich aus der Aktivität verabschiedet und in die Passivität begeben. In Wahrheit müsste ich einfach öfter mal den Browser schließen, so wie ich es vorhin getan habe, um diesen Text in einem Editor zu verfassen. Und siehe da, ich kann mich darauf konzentrieren, diese Zeilen zu schreiben. Genauso gut könnte ich Musik machen, Melodien erfinden, was auch immer. Offenbar ist es also möglich.
Mein Geist/Gehirn/Ego ist raffiniert. Er/Es überlistet mich, wo es nur geht. Immer müssen Belohnungen her. Das Internet ist voll davon. Über Jahre hat es sich eingeschliffen, dass ich denke, meine Verpflichtungen würden mich so belasten, dass mein Hauptspaß nicht mehr „befreit“ ausgeübt werden kann. Aber offensichtlich habe ich verlernt, meditativ an meine Themen heranzugehen, mich nur darauf zu konzentrieren. Das ist der eigentliche Punkt. Sobald ich alles ausblende, insbesondere meine Ablenkungen (was schwieriger ist, als meine Verpflichtungen auszublenden, weil ich bei letzteren durchaus die Fähigkeit zu LMAA-Gefühlen habe), dann ist es plötzlich gar nicht schwer, wieder in meine Themen einzusteigen, auch für nur eine Stunde. Ich muss mein Gehirn manipulativ (wiederholt) davon überzeugen, dass es ein Leichtes ist, freie noch so kleine Zeitinseln zum Entschweben in meine Lieblingsthemen zu nutzen. Vielleicht dient ja als Beweis, dass ich im Leben noch nie frei von Verpflichtungen war, früher sogar noch viel schwerwiegendere hatte und trotzdem beeindruckende Dinge hervorgebracht habe. Es wäre also heute genauso möglich wie damals. Allein mein Denken hindert mich daran.
Warum habe ich es geschafft, diesen Text zu verfassen trotz aller Verpflichtungen? Weil ich das Thema spannend finde und es Spaß macht, mich mit mir selbst auseinander zu setzen. Einziges Ziel muss also sein: Spaß! Dann gibt es keine störenden äußeren Umstände. Wenn ich ein Video anschaue oder eine spannende Diskussion auf Facebook, denke ich auch nicht, „oh Gott, ich muss ja noch X und Y erledigen bis Ende der Woche“. Ich verliere mich einfach im Video oder der Diskussion. Weil ich nicht aktiv sein muss. Das wäre ja unbequem. Dabei ist die Belohnung durch so ein Video oder der Interaktion mit Unbekannten in den sog. sozialen Medien lächerlich gegenüber dem Gefühl, selbst etwas geschaffen zu haben.
Das beweist, alle Theorien, mit denen ich ständig automatisch begründe, warum ich es oftmals nicht schaffe, auch nur meine Musiksoftware zu starten und mit meinem Lieblingsthema anzufangen, sind Tricks meines Hirns. Und ich falle immer noch auf sie rein.
Hallo Rob,
herzlichen Dank für deine wundervollen Ausführungen zum Thema. Mit deiner Erlaubnis würde ich deine Anmerkungen gern als Beitrag auf meiner Community-Seite veröffentlichen. Wäre das okay für dich?
Die eigentliche Idee bei meinem Beitrag ist: Es fällt mir leicht, in meinen kreativen Modus zu gelangen oder diesen zu halten, je besser ich „verbunden“ bin. Dann „stören“ auch andere Anforderungen oder der Alltag nicht. Es sind nicht eigentlich die „Pflichtdinge“, die mich hindern, mit meiner Kreativität fortzufahren, sondern dass ich – je weniger ich verbunden bin – nicht in der Lage bin, den entsprechenden Schalter in meinem Hirn oder in meiner Ausrichtung umzulegen.
Ich wollte nicht die Alltagsdinge dafür verantwortlich machen, meinen kreativen Modus zu verlieren. Es ist für mich eine Frage, wo mein „innerer Anker“ gerade liegt. Vielleicht kommt das nicht deutlich genug durch in meinem Beitrag.
Wie dem auch sei: Ich freue mich sehr über deine spannenden Einblicke!