abgelenkt

6. Oktober 2015 at 05:38

Ich bin_SNIP-2So wenig will ich über das Thema „Ab­len­kun­gen“ hören, daß ich mich nun fast von allen diesbezüglichen Infos abkehren mag. Doch: Was ist eine Ablenkung? Ist Lesen eine Ablenkung? Ist Boulespielen eine Ablenkung? Geht es immer nur darum, produktiv zu sein??! Wenn meine Freunde in die Berge fahren, und einen Tag mal nicht wandern, ist das dann auch eine Ablenkung, weil man ja sonst im Gebirge nichts anderes unternehmen kann als Wandern? Wandern wird als „gut“ deklariert, weil es ja Sport ist und Bewegung. Natürlich hat das Gehen noch weitere positive Effekte oder wenn man draußen ist in der Natur. Wenn ich nur in der Landschaft hocke auf meinen Spaziergängen, ist das dann Ablenkung? Ist ein Spaziergang Ablenkung oder Leben? Wann ist etwas eine „Ablenkung“? Und vor allem: Ablenkung wovon?!

Es kann doch nur etwas eine „Ablenkung“ sein, wenn ich nicht mit mir und meinem Tun verbunden bin innerlich oder etwas mich aus dieser Innenverbindung noch weiter fortzieht. Ich finde, das ist doch das allereinzige Argument, was zählt. Wie ist es denn, wenn ich zum Beispiel in den Urlaub fahre und mich langweile? Wenn man sich langweilt ist man ganz sicher nicht verbunden; denn das Verbundensein bringt immer eine leichte, freudige Neugier mit sich, zieht mich immer irgendwohin. Wenn ich aber griesgrämig bin und mich selbst beschimpfe, weil ich irgendwelche Aufgaben nicht erledigt habe, ist es gut, diesen Innenzustand zu ändern.

Als Ablenkungen gelten oft „passive“ Tätigkeiten, wenn ich mich z.B. hinsetze und mich „berieseln“ lasse. Doch geben mir diese Dinge auch wieder Anregung: ein Spaziergang inspiriert mich und ich fühle mich danach ausgeglichener. Ein Kinofilm regt meine Gedanken an, so wie das Lesen. Ich liebe Geschichten! Ist es eine Ablenkung, wenn viele um einen Geschichtenerzähler sitzen und ihm lauschen? Ist es eine Ablenkung, wenn ich zu einer Lesung gehe? Was genau ist eine Ablenkung?

Bei mir ist ganz sicher das „Arbeiten“ als reiner Lohnerwerb eine Ablenkung, denn es zieht mich fort von mir und meinen Inspirationen. Eine Ablenkung ist, wenn ich mich nach einer Tätigkeit nicht gut fühle mit mir. So, wie wenn ich ein ganzes Wochenende beispielsweise am Computer gespielt habe und keine meiner Vorhaben angegangen bin. Es ist wie mit dem Schwimmen: Ich muß einfach anfangen, es zu tun. So wie mit meinem Blog. Wir fühlen uns einfach besser, wenn wir unsere Aufgaben erledigt haben. Von daher wäre das Thema eigentlich nicht „Ablenkung“, sondern „Widerstand“ – die Widerstände, die ich gegenüber den Aufgaben habe. Eine Ablenkung ist dann die Umgehung dieses Widerstandes.

Was soll ich z.B. von der Aussage von Blair Styra1 halten, wenn er sagt, er habe nie „harte Arbeit gescheut“? Das ist ja ein fetter Glaubenssatz, den wir kollektiv unterhalten: „harte Arbeit“ wäre eine Notwendigkeit. Und eine Arbeit ist nur „hart“, wenn wir sie um des Geldes willen tun. Ich bin immer nur arbeiten gegangen wegen des Geldes. Das ist an sich nicht schlimm, und viele der Aufgaben mache ich ja auch gern – aber ich mag nicht abhängig sein von einem Chef, nicht auf Dauer, und mag zeitlich nicht festgelegt sein. Solange ich Geld-Arbeit zu Hause erledigen kann, bin ich ja zufrieden. Generell ist es mir zuwider, wenn jemand anders über meine Zeit verfügt: wann ich wo hingehen soll, wann ich Urlaub machen darf etc.

Geld_Münzball_SNIP„Nimm es persönlich“, das ist eine Aussage von Tabaash, mit der ich etwas anfangen kann. Denn wenn ich etwas persönlich nehme, bin ich involviert in meinem eigenen Leben und nicht nur ein Beobachter davon. Das persönliche Involviertsein zieht mich heraus aus dem Abstrakten; es bedeutet Teilhabe, es bedeutet: mein eigenes Leben ernst genug zu nehmen, mich darum zu kümmern. Es bedeutet, daß ich Freude habe an meinen Aufgaben, denn sie sind dann Teil meines Lebens und nicht bloß ein Störfaktor meiner hochfliegenden Träumereien.

Immer liegt darin die Frage: Was will ich? Was will ich wirklich? Denn erst wenn ich weiß, was ich will, setze ich mich auch ein dafür. Solange wie ich alle Aspekte des Lebens auf eine Gleichheitsstufe stelle – was sie in der Wertigkeit sicherlich sind –, ist es mir nämlich nicht möglich, Prioritäten zu setzen und mich in eine Richtung auch zu bewegen, hin auf irgendein Ziel, auf irgendeine Freude zu. Wir lieben es, Dinge zu erschaffen, wir lieben es, Aufgaben zu erledigen. Und dann ist es doch vorteilhaft, wenn ich erkennen kann, für welche der unzähligen Tätigkeiten ich meine Energie auch hingeben möchte.

Ist es nicht eigentlich so herum: So lange wie wir Dinge tun, die uns nicht erfüllen innerlich, lenken wir uns ab von uns selbst?! Doch das ist ja genau der Deal dieser Welt, eben uns genau in diese Diskrepanz zu bringen. Was ist eine Ablenkung, was eine Notwendigkeit? Wir leben in einer Welt, in der es notwendig ist, Geld zu haben, um überhaupt am Leben teilnehmen zu können. Und unser weltlicher Deal proklamiert: Tu′ alles, um an dieses Geld zu kommen. Notwendigkeiten sind auch Essen + Trinken, Abwasch, Saubermachen, Steuern zahlen. Doch wenn man all diese Dinge akzeptiert, den Deal dieser Welt akzeptiert, so sind die Notwendigkeiten kein Hindernis, sondern eingebunden in den Flow.

Und hier ist ein Knackpunkt, denn „im Flow“ bin ich a) wenn ich den Deal akzeptiert habe und b) innerlich entspannt bin, wenn ich mich nicht „gegängelt“ fühle. Von daher hat Tabaash recht, wenn er sagt, daß Ablenkungen ein Zeichen dafür sind, nicht die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Denn erst, wenn ich dies tu′, wenn ich die Verantwortung übernehme, fühle ich mich nicht mehr gegängelt von Äußer­lich­kei­ten; erst dann weiß ich auch mit Bestimmtheit, daß ich mich für jeden einzelnen Aspekt selbst entschieden habe. Erst dann sind Hürden keine Hürden mehr und Not­wen­dig­kei­ten keine Notwendigkeiten, sondern mutieren zu Aspekten, für die ich mich mit dem Gesamtpaket meines Lebens entschieden habe. Es wird also „persönlich“ und damit auch aktiv und eigenverantwortlich, sobald ich mich voll und ganz dafür entscheide!

Das lustige bei mir ist, daß ich mich dann von meinen eigenen Entscheidungen gegängelt fühle! Ist das nicht grotesk? Wenn ich mich z.B. für meinen Blog entschieden habe, fühle ich mich alsbald verpflichtet; wenn ich mich entschieden habe, ein Libretto zu schreiben, fühle ich mich verpflichtet. Ich fühle mich sozusagen meinen eigenen Fähigkeiten verpflichtet! Und mit diesem Gefühl geht vollkommen der Spaß an der jeweiligen Tätigkeit flöten, es fließt nichts mehr, weil ich ja jetzt – endlich – etwas „wichtiges“ tu′, etwas, das anscheinend mehr Relevanz für mein Leben hat als irgendetwas anderes. Und das bläht die Wertigkeit der jeweiligen Tätigkeit auf und nimmt sie aus dem Fluß des Tuns, denn nun will etwas in mir seinen Wert hierüber definieren: Ich bin X–Y–Z…

Sobald ich in diese Falle laufe, erstickt das meine Kreativität, weil sie nun zu einem „Beruf“ wird, und wir definieren ja unsere Wertigkeit über Beruf und Geldverdienen. Denn jetzt wird der Tätigkeit ein Wert zugemessen, ideell und finanziell – und schon sitze ich in der Falle. Dieser Faux pas entsteht dadurch, daß wir gewohnt sind, unsere Wertigkeit an Äußerlichkeiten zu messen – sei es bare Münze oder die Anerkennung der dollen Fähigkeiten usw. Was hingegen einzig unseren Wert ausmacht, ist das Sein! Es ist immer wert, weil es ist, man kann ihm weder etwas hinzufügen an Wert noch es mindern. Einzig in unserer Betrachtung über uns selbst in Bezug auf die Definitionen dieses Lebens, das wir führen, gleichen wir den Wertbegriff über unser Selbst der allgemeinen „Propaganda“ an.

Turner_SNIPIch glaube, das ist ein wichtiger Punkt zu begreifen: daß unser innerer Wert eben nicht von der allgemeinen Meinung abhängt und ob jemand tolle „Haltungsnoten“ für unsere Performance verteilt, oder wir mit Ruhm + Geld überhäuft werden oder nicht. Doch dies ist das Auge, mit dem wir uns betrachten, weil es ein so vorherrschender Aspekt der kollektiven Gegebenheiten ist, in denen wir uns finden. Und nur aus diesem Grund kann uns, wenn wir stolz etwas präsentieren, Kritik zerschmettern; aber eben nur, weil wir so abhängig sind von der „öffentlichen Meinung“ – jedoch nur so lange, wie mein Wertigkeitsempfinden hiermit verbandelt ist. Ich muß sagen, es ist ungeheuerlich schwer, sich hiervon frei zu machen, denn schließlich sind wir alle ja Teil dieses Kollektivs. Sich von diesen Glaubenssätzen zu befreien ist, als müßte man sich unter einem riesigen Amboß herauswinden. Und was hat man dann als Ergebnis? Genau: Man steht außen vor! Und das wiederum möchte man ja auch nicht.

Dies bringt letztlich wieder den Gedanken an das Allein in den Vordergrund und die Tatsache, daß man in seiner Wahrnehmung, in seinem Leben, seinen Entscheidungen, immer allein ist. Natürlich sind wir auch Teil des Kollektivs, doch liegt es immer an der eigenen Interpretation der Wahrnehmung, als was wir das Kollektiv ansehen. Anstatt als Zwang oder Bedrohung könnte man es ebenso als Hilfestellung betrachten: Indem ich an die Grenze meiner Belastbarkeit gebracht werde, erkenne ich umso deutlicher, was ich nicht will und bin hierdurch in der Lage, bessere Entscheidungen für mich zu treffen. Dasselbe gilt auch für meine Wahrnehmung dessen, was mir vom Kollektiv zurückgespiegelt wird: empfinde ich es als Feindseligkeit oder kann ich es als Hilfestellung deuten?

Was ich in diesem Zusammenhang spannend finde ist folgendes: Wenn ich nämlich Lob und Anerkennung erhalte für etwas, das ich getan habe, fühle ich mich häufig wie ein Betrüger, als sei ich diese Anerkennung nicht wert, als hätt′ ich sie mir „erschlichen“. Vielleicht liegt dies ebenfalls genau daran, daß ich mein eigenes Wertegefühl an den äußerlichen Gegebenheiten messe und aber von innendrin die Rückmeldung erhalte, daß eben genau diese Art der Anerkennung nichts mit meinem eigentlichen inneren Wert zu tun hat.

Dies ist insgesamt ein haarfeiner Grat, der ganz entscheidend ist für den Flow: Ist es mir möglich, mein eigenes Leben zu leben, ohne mich abhängig zu machen von der Art des „Kollektivblickes“ bzw. eben meiner eigenen Interpretation hiervon?! Denn solange ich auf die kollektive Anerkennung hoffe, handele ich für diesen Blick, um meinen angeblichen Wert zu steigern. Doch genau dieser Aspekt verhindert den Flow, das Kreieren aus mir selbst heraus. Im Flow bin ich nur, wenn ich im Verbund mit meinem inneren Selbst handele – im Gegenzug zu meinem „künstlichen“ oder erlernten Selbstbild, welches sich jeweils an den kollektiven Außeneinflüssen und Prämissen orientiert –, denn hier und nur hier liegt mein wirklicher Wert: im Sein! Sobald ich hiervon abweiche, gerate ich in die „Kollektiv-Falle“, die immer nach Anerkennung schielt und daher generell den inneren Wert abspricht!

Was sagt mir dieser Ausflug jetzt über Ablenkungen? Es ist meines Erachtens völlig legitim, sich abzulenken von diesem erdrückenden Kollektiv-Fokus, wenn der Effekt zu einem inneren Frieden führt, welcher Grundlage ist für die Anbindung an mein inneres Selbst.

(Spax 6.10.15)

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Fußnoten

  1. Blair Styra: Don′t Change the Channel, Ozark Mountain Publishing 2014 (engl.). Blair Styra channelt Tabaash.