Die Augen des Bewußtseins

2. August 2020 at 02:23

Vielleicht werde ich zu etwas anderem, als ich glaube zu sein. Naja, ist denn das nicht quasi die Ur-Definition von Veränderung und der Wandelfähigkeit unseres Geistes? Wir verändern uns nach und nach, indem wir unseren Geist/Fokus auf Anderes richten – eine neue Idee, eine Veränderung des Umfeldes etc. Und dieses Neue zieht uns dann, verlangt von uns, einen kleinen Schritt in unbekanntes Terrain zu tun. Wir machen das täglich. Vor allem tun wir dies, indem wir quasi „ganz schnell von Moment zu Moment flackern“, wenn man den Kontinuitätsgedanken außen vor läßt.1

Ist das so? „Denken“ wir uns von Moment zu Moment? Und „beschließt“ unser Bewußtsein von Moment zu Moment z.B. auch meinen Körper? Bin ich ein „Endprodukt“ des Fokusses meines „unterbewußten“ Bewußtseins? Oder bin ich selbst jemand, der etwas fokussiert und in Gang setzen kann? Beides, wir sind immer beides. Die Grundidee meines Bewußtseins sowie der „rote Faden“ all meiner Leben liegen in einer „übergeordneten“ Idee von mir, welche mir im Alltagsbewußtsein üblicherweise verborgen bleibt. Aber während der einzelnen Leben, in denen ein Lebewesen sozusagen die Pfeilspitze des Ursprungsgedankens darstellt, hat dieses fokussierte Wesen, das ich bin, ebenfalls Möglichkeiten der Fokussierung und der Entscheidungen. Ich bin die Augen meines Bewußtseins und schaue mir an, zu welchen neuen Abenteuern dieser Fokus führt, welche Zusammenhänge ich erblicken kann, was mir begegnet in dieser un-endlichen Fülle der Möglichkeiten.

Schon seltsam, daß wir als Einzelwesen, als die wir uns empfinden, diese Möglichkeit haben – und zwar tatsächlich genau dadurch, indem wir unser Ego-Bewußtsein entwickeln! Hierdurch lernen wir, den Ursprungsschub zu ignorieren, um eine spezifische Idee unseres Ursprungs-Bewußtseins auszuloten. So entsteht unser Ich-Gefühl – allein durch die Illusion einer scheinbaren Trennung von diesem mächtigen Strom. Würden wir diese Trennung nicht vornehmen, wäre die nächste Frage, ob ich mich dann immer noch als „Person“ fühlen könnte in meinen spezifischen Zusammenhängen; oder ob ich diese Welt mit all ihren wunderbaren Möglichkeiten quasi garnicht mehr so detailliert wahrnehmen würde.

Wieviel Neues würde das Bewußtsein erfahren, wenn wir diese Trennung in der Wahrnehmung nicht vollzögen? Wäre dann nicht alles eher in so einer Art rosarotem „Einheitsbrei“, ohne Kontur? Und doch sitzen wir hier und versuchen genau wieder zu diesem Einheitsgefühl zu gelangen. Seltsam. In dem Moment, wo wir uns wieder dem Einheitsbewußtsein zuwenden und diesem entgegenblicken bzw. uns mit diesem verbinden, kann sich die Schein-Identität, das Gefühl, eine Einzelperson zu sein, auflösen. Das wäre das Aufwachen. Und in der Folge hört man nicht auf, sich zu wundern, wer man nun eigentlich ist und was es mit dieser Einzelperson auf sich hat. Die Person versucht, die Fäden wieder aufzunehmen und in der Hand zu halten, wohlwissend, daß die Ego-Persönlichkeit sie nie wirklich in der Hand hält, wohlwissend, daß es vermutlich sinniger wäre, freudig mit dem Bewußtseinsstrom zu schwimmen. Das Verstehen-Wollen betont wiederum das Trennende, denn nur auf diese Weise lernt unsere Ego-Persönlichkeit zu begreifen. Unsere Bewußtseins-Persönlichkeit braucht dies nicht, sie weiß inwendig.

Doch was geschieht mit unserer Einzelpersönlichkeit? Was genau bedeutet eine bewußte direkte Transformation vom Physischen ins Nichtphysische, wie sie manche Schamanen und Weise vollzogen haben für diese Einzelpersönlichkeit sowie in Bezug auf das Gesamtbewußtsein? Wird eine solche bewußte Einzelpersönlichkeit dann ein bewußter Tropfen des Gesamtbewußtseins? Ein Tropfen, der um die Möglichkeiten des Bewußtseins weiß, und zeitgleich aber stets auch verbunden ist mit dem Gesamtbewußtsein, sich – zum Teil – wieder auflöst darin? Aber wie sollte man so tun, als wisse man nicht, wenn man doch weiß?! Man kann dies ignorieren, so wie die Illusion in einem Nirwana: Es ist der Zustand des reinen Verbunden-seins. Und doch liegt auch hier der Kern in einem „persönlichen Fokus“; denn immernoch ist es ein „Jemand“, der diese Entscheidung getroffen hat, sein eigenes Wissen und seine eigenen Ausdrucksmöglichkeiten zu ignorieren. So immens ist unser Ich-Fokus.

Jede einzelne Ausdrucksform ist und bleibt eine Speerspitze des Gesamtbewußtseins. Ins Leben gesungen, um dem Gesamtbewußtsein Augen zu geben, die Immensität der ungezählten Möglichkeiten auszuloten und zu erfahren.

Von daher ist es müßig, wenn ich selbst ständig neidisch auf das Gesamtbewußtsein schiele und mir wünsche, „wieder dort zu sein“. Mein eigenes Leben und meine eigenen Erfahrungen bringen, indem ich sie durchlebe, Erkenntnis für das Gesamtbewußtsein. Die Weigerung, in mein Leben voll einzutauchen ist auch eine Weigerung dem Gesamtbewußtsein gegenüber. Wir sind bereits herausgefallen aus dem Einheits-Schoß, hinein in ein Existenzempfindens des „Ich bin“.2 Für immer. Es ist eine Möglichkeit für Entwicklung, für uns selbst genauso wie für das Gesamtbewußtsein. Doch wenn ich meine Lebensumstände ignoriere, hat niemand etwas davon. Ist es denn nicht schön, wenn ich z.B. mit anderen oder durch die Anregung von anderen weitere winzhafte Erkenntnisbröckchen zutage fördere? – für mich, für andere, für das Gesamtbewußtsein? Nur meine Weigerung hält mich in dem „Leidens-Käfig“, nicht diese Welt oder mein körperlicher Ausdruck. Denn wenn ich weiß, daß ich stets verbunden bin, kann ich mich mit diesem Empfinden stets auch verbinden. Die meisten tun dies unbewußt, gerade weil sie die Tatsache ihrer Verbundenheit vollkommen ignorieren (Getrenntheitsempfinden). Ist das nicht interessant? So gesehen erscheint das Aufwachen geradezu als eine weitere Hürde in bezug auf ein eigenes Ganzheitsempfinden, anstatt als eine „Erlösung“.

(Spax  2.8.20)

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Fußnoten

  1. Siehe hierzu auch die Beiträge persönliche Geschichte (19.12.16) sowie Kontinuität oder Flow (18.3.13).
  2. Ich meine hier nicht nur in Bezug auf unsere Inkarnationen, sondern auch generell – sozusagen ein grundlegender Zustand von Existenz im Gegensatz zu einem „Nicht-Existierenden“.