persönliche Geschichte

19. Dezember 2016 at 01:12

Diskussion-bunt_SNIP_geraltIst nicht alles eine fortwährende Geschichte? Geschichten in Geschichten in Geschichten. Und auch ich bin lediglich eine Geschichte, die erzählt wird. Eine Geschichte, die ich mir auch selbst erzähle. Permanent. Würde ich mir nicht permanent meine eigene Version meiner Geschichte erzählen, was oder wer wäre ich dann? Ist das nicht im Grunde das Gefühl meiner Existenz? Sobald ich „existiere“ habe ich auch eine Geschichte, die genährt wird von meinem Antrieb zu leben.

Lesen. Geschichten. Geschichten, die ich mir ausdenke, Geschichten, die ich höre, Geschichten, die ich wahrnehme. Und es ist ja so, wie mit dem Typ mit den Hathoren:1 Sobald er an die Verbindung mit ihnen denkt, ist er verbunden mit ihnen. Wenn ich also in eine Geschichte eintauche, ob ich sie lese oder mir vorstelle, ist sie Realität, erlebe ich sie, eben weil ich sie wahrnehme. Und alles, was ich wahrnehme und wahrnehmen kann, ist real, denn meine Wahrnehmung bildet meine Realität, ganz gleich auf welcher Erlebens-Ebene.

Weshalb nur verliere ich immer wieder den Faden zu mir selbst, sobald ich „Sachen unternehme“ und vor allen Dingen mit anderen zusammen bin? Weil all diese Dinge mir stets oberflächlich erscheinen und sich nicht anfühlen, als hätten sie einen Anker in mir. Es ist echt, wie in zwei total unterschiedlichen Welten zu leben. Und dennoch bedingt meine physische Verbundenheit mit meinen physischen Erlebnissen meine physische Geschichte, mein physisches Erleben. Immer fühle ich mich mehr verbunden mit den nichtphysischen Gegebenheiten, erscheinen mir meine nichtphysischen Wahrnehmungen „realer“ als meine 3D-Welt und alles, was Leute mir erzählen. Weshalb aber funktioniert dann mein physisches Leben nicht so, wie ich es in manchen Teilen möchte? Ja, vielleicht genau deswegen: weil ich die beiden Bereiche schwingungstechnisch nicht miteinander verbinde; weil ich stets glaube, mein physisches Leben sei irgendwie „falsch“ und unecht und daher nichts wert und es daher im Grunde mißachte.

Aber das ist doch genau der Punkt des nicht-Verbundenseins, denn durch diese Haltung spalte ich mein physisches Leben ab von meinem nichtphysischen. Doch all meine Leben – ob physisch oder nichtphysisch – sind stets miteinander verbunden durch meine Empfindungen, durch mein wahrnehmendes Erleben. Wohl dies ebenfalls der Grund, weshalb ich so Mühe habe, in mein physisches Leben wirklich einzutauchen, denn ich werte es ja stets ab als Erfahrungsraum. Wozu sollte ich aufräumen oder meine Fenster putzen? Genau deswegen: weil sämtliche Tätigkeiten in dieser Welt mich mit dieser Welt verbinden und somit ihr und meinem Erleben darin Wert verleihen. Indem ich mich um meine physische Welt kümmere oder bemühe, gestehe ich ihr Existenzwert zu, genauso wie meinem Körper, und folglich meinem Sein. Denn jeder Körper ist gleichermaßen ein Ausdruck meiner Existenz, meines Seins, wie eben auch sämtliche meiner nichtkörperlichen Empfindungen und Wahrnehmungen. Das eine ist nicht „wertvoller“ als das andere, denn alles Sein und daher alles Erleben und sämtliche Ausformungen sind: Bewußtsein – mein eigenes; ausgedrückt durch meine vielfältigen Wahrnehmungen.

Ein jedes, das ich mir einrede, wird zu meiner Geschichte. Und weil wir es gelernt haben, auf alle anderen zu hören und deren Meinungen für wichtiger zu halten als die eigene, ist es so schwierig, mich davon abzugrenzen und die eigenen Wahrnehmungen als relevant zu betrachten.

Zeit-auflösen_SNIP_Karen_NadineAlles Denken, jede Geschichte, die hier erzählt oder aufgeführt wird, basiert auf Kausalität. Und das ist ein wesentlicher Knackpunkt in unserer Entwicklung hin zur Multidimensionalität: das Kappen der Leinen der Kausalität. Indem ich diese Form der Kontinuität auflöse, zertrenne ich meine Wahrnehmung der Zeit. Denn eine Kausalität und das hieraus resultierende Gefühl einer Kontinuität kann nur bestehen, solange ich einen Zeitbegriff aufrechterhalte. Ausschließlich in Zusammenhängen, die eine Zeit definieren ist es möglich, so etwas wie Kausalität und Kontinuität zu empfinden.

Indem ich mir meine Geschichte wiederholt erzähle, wieder und wieder, täglich und andauernd, verbinde ich mich stets mit sämtlichen Momenten, die bereits lange verflossen sind, die ich irgendwann aber ausagiert und erlebt habe; und aus diesen Bausteinen sowie der ewigen Wiederholung all meiner Erlebnisse, überblende ich den aktuellen Jetzt-Moment, der in jedem Augenblick brandneu ist. Doch dieses Empfinden des brandneuen Augenblicks, der angereichert ist mit sämtlichen Möglichkeiten dieser wie aller anderen Welten, und der somit all unsere Lebendigkeit enthält, wird überlagert bzw. überquatscht mit der endlosen Wiederholung meiner Geschichte und meines Gewordenseins vor mir selbst, durch den ständigen Dialog in meinem Kopf. Müßte ich mir und allen anderen nicht ständig erzählen, wer ich bin oder welche Geschichte ich mit mir herumschleppe als Ausdruck meines Lebens – oder meines Wertes?! –, wäre ich in der Lage, jeden Augenblick als das zu erleben und zu erfahren, was er ist: ein brandneuer Moment, in dem einfach alles möglich ist, in dem alles wie unberührt vor mir liegt – nein besser noch: in den ich eingebunden bin. Mein Erleben wird zum Sein ausschließlich in meinen Jetzt-Momenten. Ohne jegliche Kausalität.

Das macht uns Angst, denn wir fürchten, uns bzw. unsere Geschichte, mit der wir gelernt haben uns zu identifizieren, zu verlieren. Wer sollen wir sein, wenn wir alles sein können? Wir ziehen also unseren gesamten Wert aus dieser Geschichte, die wir uns permanent erzählen („Ich bin dies, ich bin jenes; ich habe diese oder jene Taten vollbracht“ usw.). Wüßten wir doch, daß wir nicht verloren gingen in dieser Immensität des Seins. Doch der Anker, der alles zusammenhält, der meine Existenz begründet, ist stets vorhanden: meine empfindende Wahrnehmung. Mein Sein, mein Gefühl von Existenz geht niemals verloren. Und das Grundempfinden des Seins, des Bewußtseins, ist die bedingungslose Liebe. Ich werde also bereichert in meiner Wahrnehmung wie meiner Lebendigkeit, sobald ich ins Jetzt eintauche, in den un-abhängigen Augenblick, der von mir, von meinem rationalen Denken, noch keine Definition erhalten hat.

Daher fällt man in die Stille, sobald man einen Jetzt-Moment erlebt, denn im Schweigen meiner Gedanken löse ich mich von meiner vorgefaßten Geschichte, löse mich von aller Eintönigkeit, weil ich in der Stille, im Jetztmoment, wieder ins Erleben eintauche anstatt sämtliche Gegebenheiten, denen ich begegne zu bewerten und in Bezug zu meiner Geschichte zu stellen. Das Sein, das lebendige Leben kann nur erfahren werden, indem ich spiele mit all den Dingen, die ich wahrnehme, indem ich sie auskoste und durchlebe, nicht indem ich alles distanziert mit meiner Ratio betrachte und hierdurch entwerte. Das ist der Grund, weshalb ich immer den Eindruck habe, man müsse eintauchen in die Welt, die vor einem liegt mit jeder Faser, denn hierdurch fange ich an, meine Verbindung zu leben und meine Verbundenheit überhaupt erst zu spüren, auch in meinem physischen Sein.

Dies ist gleichfalls der Grund, weshalb die Zauberer2 sich unter anderem die Aufgabe gestellt haben, sich ihrer persönlichen Geschichte jeweils zu entledigen, denn diese sei angefüllt mit falschen Werten und hindere uns daran, „die Totalität des Seins“ zu erleben.

So, und genau das ist mit ein Grund, weshalb mir so häufig all das Gequatsche und die Gespräche auf den Keks gehen, denn in unseren Gesprächen geht es um nichts anderes als permanent uns unsere jeweilige Geschichte – und damit unsere Existenz zu bestätigen. Daher das Schweigen all jener, die telepathisch sind, denn sie sind im Jetzt verankert und wiederholen nicht permanent Augenblicke, die längst passé sind. Denn was bitteschön sollten wir uns erzählen, wenn wir im Jetzt sind? Das Jetzt ist ein sich Ausdrücken im Moment, nicht eine Wiederholung – ob mündlich oder gedanklich – vergangener Augenblicke.

Jede Geschichte eine Bewertung. Jede Geschichte ein Ausdruck von Kontinuität/Kausalität. Jede Geschichte ein bereits Vergangenes. Jede Geschichte eine Verhinderung des Jetzt.

(Spax  19.12.16)

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Fußnoten

  1. Siehe Beitrag „unbekannte Zukunft“ vom 18.12.16.
  2. Die Gruppe der Seher um Don Juan, dessen Schüler Castaneda war, bezeichneten sich häufig als „Zauberer“.