Wissen verankern

25. Oktober 2020 at 17:11

Wieso vergesse ich andauernd Dinge? – Dinge, die ich gesehen habe, Infos, die ich schonmal hatte, Filme die ich gesehen habe oder Bücher, die ich schon kenne. Aber am grausligsten von allem: Erkenntnisse, die ich schon hatte und offenbar vergessen habe!! Ist es denn dann überhaupt eine Erkenntnis?! Wenn man Erkenntnisse vergessen kann, dann ist das doch ein Zeichen dafür, daß man sie nicht lebt, oder? Ist es dann nur eine rationale Erkenntnis? Oder ist es etwas, das halt wie jedes Erleben und alles, was mir je begegnet ist, nur irgendwo in meiner Bewußtseinsdatenbank abgespeichert ist? – um dann wieder aufzutauchen, sobald meine Gedanken sich in die entsprechende Richtung wenden. Weil man natürlich nicht stets alles präsent hat im Tagesbewußtsein.

Aber jedesmal erstaunt es mich, all diese Dinge offenbar wieder vergessen zu haben. Ich glaube nämlich zum Beispiel, daß ich vor Jahren schonmal recherchiert hatte nach dem neuen Sänger von Queen.1 Wieso hat sich diese Info nicht als „permanentes Wissen“ festgesetzt? Weshalb ist es in den Tiefen meines gedanklichen Büroschranks irgendwo versunken? Weshalb zeigt sich nicht einmal ein Wiedererkennen, wenn ich erneut auf diese Info oder Geschichte stoße? So wie ich sonst weiß „Ah ja, das weiß ich ja“. Und genauso ist es mit Erkenntnissen für mein Leben auch. Wenn ich über meine Themen schreibe, weiß ich irgendwann beim Schreiben: „Ah, darüber habe ich bereits geschrieben.“ Aber zu Beginn scheint die Information oft wieder frisch und neu und wie noch nie gehört oder gedacht oder gesehen – sonst würde ich ja nicht so voller Begeisterung darüber schreiben.

Alles, was wir je wahrgenommen haben, es ist wie lebendige Lichtfäden, die stets mit uns verbunden sind. Durch sie fließt die Energie des jeweiligen Ereignisses oder der jeweiligen Erkenntnis des Wahrgenommenen. Sie sind wie leuchtende Nabelschnüre. Kein Wissen geht je verloren. Doch weshalb habe ich dann dieses etwas verstörende Gefühl, daß es nicht in mir „verankert“ ist, wenn ich es nicht in meinem Tageskopfwissen präsent habe?

Vielleicht ist es auch so, daß man Erkenntnisse ebenso trainieren muß wie eine Übung im Sport oder einen Muskel: Es schleift sich erst ein, wenn ich es wiederholt gedacht habe, und dann erst habe ich es auch dauerhaft präsent. So wie die Namen von Leuten, die zwei Sekunden nachdem ich sie gehört habe vergessen sind, wenn ich sie mir nicht sofort mehrfach in meinem Kopf vorsage und wiederhole. Denn mit dieser Übung bleiben sie auch präsent!

Oder wie meine Träume oder Erlebnisse im Traumbewußtsein: Je näher ich mich wieder hinbewege zum „Aufwachen im Tagesbewußtsein“, desto präsenter werden mir Erkenntnisse in meinem Traumbewußtsein. Doch sobald ich über die Schwelle ins Tagesbewußtsein trete, ist alle Erkenntnis oder die Wahrnehmungen aus der Zweiten Aufmerksamkeit2 (Traumbewußtsein) sofort wieder verschwunden. Weiß ich aber um diese „Gefahr“, so kann ich hier denselben Trick anwenden: Ich kann mir diese Dinge ins Tagesbewußtsein ziehen, indem ich mir die Kernpunkte oder das, was ich behalten will, in dem Zustand kurz vorm Aufwachen solange wiederholen, bis ich quasi hierüber dann aufwache. Entweder schreibe ich dann alles gleich auf, so daß die Eindrücke auch fixiert sind; ansonsten bleiben sie für einen Moment ebenfalls präsent, doch meistens nicht auf Dauer. Falls ich mich allerdings wieder in mein Traumerleben zurückfallen lasse (z.B. nachts, wenn ich weiterschlafen möchte), besteht die Gefahr, daß dieses Wissen in der Zweiten Aufmerksamkeit verbleibt und ich es später beim Aufwachen nicht mehr präsent habe oder den Zusammenhang nicht mehr rekonstruieren kann.

Doch dies ist der Mechanismus, wie man letztlich „Schlupflöcher“ in jene Mauer brennt, von der Erste und Zweite Aufmerksamkeit in unserer Wahrnehmung getrennt sind. Und nur, indem es mir gelingt, eine Durchlässigkeit für die Zweite Aufmerksamkeit hin zur Ersten Aufmerksamkeit (Tagesbewußtsein) herbeizuführen, kann ich mein Alltagserleben mehr und mehr mit den erweiterten Bewußtseinsbereichen verbinden. Denn nur in der Ersten Aufmerksamkeit haben wir das Gefühl, auch etwas „verstanden“ zu haben und behalten diese Erkenntnisse, sie bleiben präsent.

Was bedeutet das für meine Ausgangsfrage, weshalb ich das Gefühl habe, manchmal auch Erkenntnisse wieder „vergessen“ zu haben? Es bedeutet vielleicht, daß meine Mauer nicht durchlässig genug ist, um all diese Dinge auch im Tagesbewußtsein präsent zu halten; doch jedesmal, wenn ich durch meinen gedanklichen Fokus wieder durch ein Schlupfloch in der Mauer linsen kann, ist sie nach wie vor dort, die Erkenntnis. Aber dies gilt ja genauso auch für so Alltagsdinge wie die Inhalte eines Buches oder Filmes. Doch wenn ich ein Wissens- oder Erkenntnisbröckchen nicht andauernd benötige, ist es halt nicht genügend trainiert, als daß es im „bewußten Wissensschatz“ landet. Und das scheint für Bücherwissen genauso zu gelten wie ein Wissen, das ich in der Zweiten Aufmerksamkeit angesammelt habe.

Das merke ich ja beispielsweise, wenn ich Quizduell spiele: Wiederkehrende Fragen kenne ich irgendwann und weiß nach der x-ten Wiederholung die richtige Antwort – eben weil die Frage schon zigmal aufgetaucht ist, ich die Antwort recherchiert habe und irgendwann bleibt die richtige Antwort präsent. Noch etwas kann ich hierbei beobachten: meine Gedankengänge wiederholen sich! Wenn ich aus irgendwelchen Überlegungen heraus eine Antwort A für richtig halte, diese aber falsch ist, so unternehme ich beim nächsten Auftauchen dieser Frage exakt dieselben Überlegungen und lande wiederholt auf derselben falschen Antwort. Das quizzen ist eine Übung, ein Gedächtnistraining! Das „Ballastwissen“, wie ein Freund es nennt, ist hierbei nicht wichtig, aber wir trainieren hierbei auch die Merkfähigkeit des Gedächtnisses.

Auch all unsere Glaubenssätze entstehen auf diese Weise: Indem wir Aussagen wiederholt hören, verfestigen sie sich als Idee in uns. Je häufiger dann Aussagen in unserem Umfeld bestätigt werden, entsteht hierdurch dann der Eindruck diese Aussage sei „wahr“. Unsere Medien machen sich diesen Umstand zunutze. Doch letztlich ist jeder Glaubenssatz nichts anderes als eine Aussage, die wir wiederholt in unseren Gedanken trainiert haben und sie sich hierdurch in unserer Alltagspräsenz verankert.

Und auf dieselbe Weise werden Breschen zwischen den verschiedenen Aufmerksamkeiten geschlagen, nur daß hierbei das zugängliche Wissen in anderen Bewußtseinsbereichen liegt, mit denen wir dadurch auch üben, uns zu verbinden.

(Spax  25.10.20)

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Fußnoten

  1. Eine Rockgruppe (1970er bis heute); seit ca. 2011 treten sie mit einem neuen Sänger auf: Adam Lambert.
  2. Erste/Zweite Aufmerksamkeit: Begrifflichkeiten, die in den Lehren von Don Juan, dem spirituellen Lehrer von Castaneda verwendet werden. Die „Erste Aufmerksamkeit“ bezeichnet hierbei unser Tagesbewußtsein, die „Zweite Aufmerksamkeit“ gleicht unserem „Traumbewußtsein“.