Die Stille verschluckt die Zeit
Manchmal bin ich noch mit dem Monatsanfang verbunden, manchmal schon darüber hinaus – die Zeit ist ein eigenartig Ding. Sie existiert als Variable in uns, ist ein inneres Konzept. Zwar hat man die Rhythmen eingeteilt, die wiederkehrenden Dinge gezählt, so daß es den Anschein hat, als wäre Zeit etwas Äußeres – doch das ist sie nicht. Zeit ist eine knetbare Masse in mir, ein psychologischer Faktor, der direkt mit meinem allgemeinen Empfinden korreliert: Bin ich entspannt, so wird die Zeit zu zähflüssigem Gummi, welches sich kaum bewegt; bin ich nervös oder habe Furcht zu spät zu kommen, rast sie wie ein durchgehender Hengst.
Gelange ich in meine innere Stille und damit in mein Jetzt, so paßt sich ihre Qualität jedoch meinen Wünschen und Erfordernissen an: All die Ereignisse, die in meinem Leben eine Bedeutung haben, zeigen sich zur rechten Zeit. Denn dies ist die Qualität der inneren Stille, wo man nichts hinterherläuft nichts mehr einfangen muß; auch tritt man nicht auf der Stelle, weil man auf ein Ereignis warten müßte. Nein, in meiner Stille fließt die Zeit in mir und mit mir und hat ihre Bedeutung verloren – sie existiert nicht mehr als jener Begriff, den ich vorher kannte und meinen Lebenszusammenhang in scheinbar überschaubare Häppchen gegliedert hat. Denn in der Stille ist sie integriert in den Fluß all jener Dinge, die mein Leben darstellen; sie verliert komplett an Bedeutung, da im Jetzt keine Zeit existiert.
Im Jetzt gibt es keine Eile, keine Hetze und auch kein Warten, denn alles greift ineinander in einem ewigen Fließen, während ich in meine Stille gehüllt bin und das Empfinden habe, stillzustehen – nicht in meiner Entwicklung oder der Entfaltung der Zusammenhänge, die mein Leben darstellen, sondern es ist ein Empfinden, daß dort, wo ich gerade bin oder das, was ich grad tu′, das Zentrum des Universums ist. Hier gibt es keine „Störungen“, denn alles, was mir begegnet gehört automatisch zu meinem neuen Jetzt-Moment. Hier gibt es auch kein Sich-ärgern, keine Abwehr, kein „ich müßte noch“, denn jedes Einzelne befindet sich exakt am rechten Ort, exakt im richtigen Zusammenhang.
Allein die Bewertungen, die ich gelernt habe, die Unterscheidung der Dinge, das Klassifizieren von allem, was mir begegnet, das stetige Sortieren in den Schubladen meiner Gedächtniskommode, bringt mich wieder aus dem Gleichgewicht, zieht mich in die Dualität und somit wieder in ein Zeitempfinden.
Gleichermaßen ist in der Stille das Vertrauen verankert – nicht ein Vertrauen, welches ich über mein Denken und Urteilen mühevoll mir einrede und zu erwerben gedenke, sondern Vertrauen als Wissen, als ein innewohnendes Wissen, welches jede Begegnung und jeden meiner Schritte urteilslos akzeptiert, da ich weiß, daß alles an seinem rechten Platz ist und ich unbefangen einem jeden begegne. Im Jetzt. Im ewigen Fließen. Es ist der schönste Zustand, den ich kenne, denn sämtliche komplizierten Strategien, mit denen ich mich ansonsten bemühe, mein Leben zu lenken, fallen ab von mir.
(Spax 27.6.15)
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