List des Ego

23. Oktober 2020 at 00:56

Dies ist ein Kommentar von Rob (23.10.2020) zu kreativer Modus (4.10.2020).

Ich denke auch oft, Dauerverpflichtungen würden mich unterschwellig abhalten, meine eigentlichen Ziele zu verfolgen.
Aber wenn ich in den „Analyse-Modus“ gehe, stelle ich fest, dass es sich um ein viel zu komplexes Thema handelt, als dass ich die Notwendigkeiten meines Alltagslebens verantwortlich machen könnte. Es gibt vielerlei Aspekte, die meine – ich nenne sie mal so – Passivitätsphasen auslösen, die immer länger zu werden scheinen.

Bei dem Gedanken, ich könnte ein Typ Mensch sein, der die totale Freiheit braucht, um sich verwirklichen zu können, entsteht in mir ein gewisser Trotz, weil sich mir die totale Freiheit leider nicht bieten wird in diesem Dasein. Soll ich also aufgeben? Ich habe den Lebenslauf von so vielen mehr oder weniger oder sehr erfolgreichen Menschen gelesen und zahlreiche Interviews, sodass ich weiß, die haben alle mein Problem. Ich stehe also nicht alleine da mit meiner Wankelmütigkeit.

Da wäre zunächst die Bequemlichkeit. Ich kann nicht leugnen, dass ich für meine angebliche Lieblingsbeschäftigung – in meinem Fall Musikproduktionen als Autodidakt mit professionellem Anspruch1 – so etwas wie Überwindung aufbringen muss. Es gilt also zunächst, zu ergründen, warum das so ist und warum das früher nicht so war. Ich habe einst über Jahre während eines Fulltimejobs nebenher eine CD produziert in allabendlicher stundenlanger Tätigkeit. Heute wundere ich mich über die Energie, die ich damals hatte. Wäre mir im Moment viel zu anstrengend. Warum? Weil das Ziel nicht mehr so erstrebenswert ist, wie es damals schien, die „Belohnung“ braucht es nicht mehr. Natürlich war der Schaffensprozess begeisternd. Das ist auch heute noch so. Aber damals fehlte es mir an Lebenserfahrung und „Erfassung der Gesamtheit“. Heute ist mir klar, was es bedeutet, Milliarden Menschen auf der Erde zu haben. Konkurrenz! Ich wurde damals freilich zu einem Teil getrieben durch die Hoffnung, eines Tages kommerziellen Erfolg zu erzielen. Inzwischen ist mir diesbezüglich das Erfolgs-Gen abhanden gekommen aus zwei Gründen: Berufliche und finanzielle Entwicklung auf anderen Gebieten macht einen Erfolg mit meiner Lieblingsbeschäftigung nicht mehr erforderlich. Und der Wunsch nach Anerkennung ist durch persönliche Reife verschwunden. Somit bleiben in meinem Fall folgende Antriebsmechanismen übrig: Spaß an der Sache („Der Weg ist das Ziel“) und Perfektionismus („qualitativ kommerziellen Produktionen entsprechen“).

An dieser Stelle wieder zurück zur Bequemlichkeit. Es ist für mich so viel einfacher, die Ideen Anderer auf Youtube toll zu finden, dass ich mich schon viele Stunden darin verloren habe und immer noch verliere. Die recht schnelle Anerkennung durch Fragesteller in sozialen Medien, wo ich in verschiedenen Gruppen Hilfestellung gebe und konstruktive Kritik äußere, bindet meine Aufmerksamkeit und Zeit – und hält mich von meiner persönlichen Weiterentwicklung ab. Dem Internet zu widerstehen ist aktive Arbeit! Die will ich oft genauso wenig leisten wie die Arbeit zur Fortführung meiner persönlichen Projekte.

Wenn ich nun immer häufiger der Meinung bin, die verdammten Verpflichtungen würden mir verwehren, meine mir am Herzen liegenden Projekte zu verfolgen, bin ich nicht ehrlich zu mir. Ich begebe mich in eine Opferhaltung! Dabei mangelt es mir lediglich an konsequenter Selbstbestimmung. Ich habe mich aus der Aktivität verabschiedet und in die Passivität begeben. In Wahrheit müsste ich einfach öfter mal den Browser schließen, so wie ich es vorhin getan habe, um diesen Text in einem Editor zu verfassen. Und siehe da, ich kann mich darauf konzentrieren, diese Zeilen zu schreiben. Genauso gut könnte ich Musik machen, Melodien erfinden, was auch immer. Offenbar ist es also möglich.

Mein Geist/Gehirn/Ego ist raffiniert. Er/Es überlistet mich, wo es nur geht. Immer müssen Belohnungen her. Das Internet ist voll davon. Über Jahre hat es sich eingeschliffen, dass ich denke, meine Verpflichtungen würden mich so belasten, dass mein Hauptspaß nicht mehr „befreit“ ausgeübt werden kann. Aber offensichtlich habe ich verlernt, meditativ an meine Themen heranzugehen, mich nur darauf zu konzentrieren. Das ist der eigentliche Punkt. Sobald ich alles ausblende, insbesondere meine Ablenkungen (was schwieriger ist, als meine Verpflichtungen auszublenden, weil ich bei letzteren durchaus die Fähigkeit zu LMAA-Gefühlen habe), dann ist es plötzlich gar nicht schwer, wieder in meine Themen einzusteigen, auch für nur eine Stunde. Ich muss mein Gehirn manipulativ (wiederholt) davon überzeugen, dass es ein Leichtes ist, freie noch so kleine Zeitinseln zum Entschweben in meine Lieblingsthemen zu nutzen. Vielleicht dient ja als Beweis, dass ich im Leben noch nie frei von Verpflichtungen war, früher sogar noch viel schwerwiegendere hatte und trotzdem beeindruckende Dinge hervorgebracht habe. Es wäre also heute genauso möglich wie damals. Allein mein Denken hindert mich daran.

Warum habe ich es geschafft, diesen Text zu verfassen trotz aller Verpflichtungen? Weil ich das Thema spannend finde und es Spaß macht, mich mit mir selbst auseinander zu setzen. Einziges Ziel muss also sein: Spaß! Dann gibt es keine störenden äußeren Umstände. Wenn ich ein Video anschaue oder eine spannende Diskussion auf Facebook, denke ich auch nicht, „oh Gott, ich muss ja noch X und Y erledigen bis Ende der Woche“. Ich verliere mich einfach im Video oder der Diskussion. Weil ich nicht aktiv sein muss. Das wäre ja unbequem. Dabei ist die Belohnung durch so ein Video oder der Interaktion mit Unbekannten in den sog. sozialen Medien lächerlich gegenüber dem Gefühl, selbst etwas geschaffen zu haben.

Das beweist, alle Theorien, mit denen ich ständig automatisch begründe, warum ich es oftmals nicht schaffe, auch nur meine Musiksoftware zu starten und mit meinem Lieblingsthema anzufangen, sind Tricks meines Hirns. Und ich falle immer noch auf sie rein.

Rob  (23.10.2020)

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Fußnoten

  1. Hier die Seite der musikalischen Künstlerseele: LessLyrics.