Das große Allein
Gestern Abend beim Einschlafen noch diesen Gedanken gehabt: Ich kann sie garnicht alle „mitschleifen“, denn das würde bedeuten, daß es 1) überhaupt möglich sei, jemanden auf den Erkenntnisweg zu bringen und dann „mitzuschleifen“, was nicht geht; und 2) müßten all die Leute „sich mitschleifen“ lassen wollen und das ist ja nochmal eine ganz andere Sache, denn ich will ja auch nirgendwo mitgeschleift werden und daher weder jemanden überreden oder überzeugen; 3) und am allerwesentlichsten: Sobald ich beispielsweise meinen Fokus darauf lege, daß es wichtig sei, den Leuten die Vorzüge von 4D oder sonst etwas „anzupreisen“, hätte ich meinen Fokus ja auf einem „Mangel“, der da hieße, „die anderen sind ja alle so dumpf und unterentwickelt“, nicht bedenkend, daß genau das, was ich bei anderen als „Mangel“ definieren würde doch mein eigener Fokus wäre! Und die Frage, weshalb in meinem Leben ein Mangel an „aufgewachten Leuten“ herrscht, erübrigt sich.
Hinzu kommt ebenso die Arroganz, sich als etwas ganz Besonderes zu fühlen, solange ich diesen Blickwinkel einnehme, denn damit stelle ich mich automatisch über alle anderen, die ich ja als „unterentwickelt“ empfinde. Selbstverständlich wollen wir uns alle stets als etwas Besonderes fühlen, denn wir haben durch Äonen von Lebenserfahrungen, die geprägt sind von Hierarchien, gelernt, daß wir uns nur herausheben, wenn wir uns über andere stellen. Natürlich ist jeder Mensch und auch sonst jedes Wesen ein einzigartiges Ereignis, aber doch in seinem eigenen Recht!, dadurch daß er/sie/es existiert, nicht aufgrund des Ranges in einer Hierarchie!
Diesen Fokus aufzugeben bedeutet weiterhin: für sich selbst verantwortlich zu sein und die eigene Entwicklung, nicht für diejenige aller anderen. Einerseits ist dies der Grund, weshalb ich hin und wieder Seminare zu irgendwelchen Spiri-Themen belege, weil ich neugierig bin auf neue Ansätze und Einsichten; weshalb ich aber keinem dieser vorgeschlagenen Wege folgen kann ist, weil es bedeuten würde, mich wiederum in ein vorgefertigtes System hineinzupressen und dagegen wehre ich mich immer. Ich kann weder irgendeiner Person folgen noch irgendeinem System. Denn alles, was das Leben für mich ausmacht ist in mir selbst.
Der allerwesentlichste Gedanke gestern Abend war jedenfalls: Du kannst nur immer in deine eigene Richtung gehen. Und das bedeutet: den Fokus wegzunehmen von einer Beurteilung, einem Vergleichen dahingehend, wo gegebenenfalls andere in ihrer eigenen Entwicklung stehen – als könnte ich oder irgendein anderer dies je beurteilen! Das ist ja lächerlich, denn das kann doch nur die Person selbst. Wir alle fühlen uns schlau und kompetent – ganz gleich, ob wir fünf Jahre alt sind, fünfzehn oder fünfzig. Zu jeder Zeit fühlt sich jeder innendrin „im Recht“, hat das Empfinden, bereits viel gelernt zu haben und von Erkenntnis zu Erkenntnis zu wachsen. Nichts ist hier besser als ein anderes.
Und weil dies so ist und jeder innerlich sowieso sein eigenes Ding macht und sich auf seine eigene Weise weiterentwickelt, ist es weder nötig noch wünschenswert, hier einzugreifen. Das einzig wirklich Sinnhafte, was man tun kann ist: sich abzuwenden von dieser Art des Fokussierens und in die eigene Richtung zu schauen. Es beinhaltet ein wenig das Gefühl, sich „abzukehren“ von dem Getriebe der Welt, aber wie sonst sollte ich meinen eigenen Weg erkennen können?! Dreht man all diesem Vergleichs- und Hierarchiewahnsinn den Rücken, so weht einem ein kalter Windhauch entgegen: Allein. Man fühlt sich allein. Es sei die erste Einsicht des Aufwachens, wird gesagt: Ich bin immer und überall allein. Letztlich ist es wiederum diese Erkenntnis, aus der wir all unsere Stärke ziehen, aber dahin können wir erst gelangen, wenn wir durch das große Tor des Allein geschritten sind. Und einmal reicht nicht, denn wieder und wieder müssen wir uns dieser fundamentalen Erkenntnis entsinnen, und zwar immer dann, sobald wir uns wieder mit der Welt verstricken und uns ihr zuwenden. Also permanent und andauernd könnte man sagen.
Doch das ist es ja: Indem wir uns der Welt und ihren Belangen wieder zuwenden, verstricken wir uns automatisch, je weniger das Allein in uns gefestigt ist; und das Dumme daran ist, man bemerkt diesen Prozeß nicht, er ist schleichend und wird genährt von dreimillionen Zweifeln, die mein Denken mir stets präsentiert. Wie soll ich diese angeborene Richtigkeit für mein Selbst, für mein mir innewohnendes Allein aufrechterhalten, wenn es genau das ist, was uns in unserem Lebenszusammenhang abtrainiert wird? Denn was wir von Tag Eins an lernen ist: Die Anderen sind richtig, nicht ich. Und dieser erlernte Zweifel an uns selbst, an dem was wir sind, prägt all unser Denken und Handeln.
Es kostet immer Mut, sich dieser inneren Zweifel-Stimme zu widersetzen, das ist das eine. Wir können diesen Mut überhaupt nur aufbringen, wenn wir – zumeist an sehr krassen und deutlichen Widersprüchen – merken, daß ich mich an etwas aufreibe, was ich nicht will. Das andere ist, daß dieser Selbstzweifel so tief in unserem Denken verankert ist, daß wir dies überhaupt nicht bewußt bemerken und uns daher automatisch in den allgemeinen Fluß der Dinge fügen, eben ohne sie zu hinterfragen. Aufgrund der erlernten Struktur des permanenten Selbstzweifels fällt es uns so viel leichter, den Fokus in der Auseinandersetzung mit unserer erlernten Welt zu halten als uns hiervon komplett abzuwenden.
Um in dem Fokus auf das Allein nicht gehindert oder allzusehr gestört zu werden, ziehen viele sich zurück aus ihren angestammten Zusammenhängen, „steigen aus“, suchen sich eine Hütte im Wald oder einen Berggipfel – whatever. Zwar kann ich dort leichter meinen Fokus beibehalten, weil ich auf mich selbst zurückgeworfen werde, doch alles zerbröselt, sobald ich wieder mit dem Rest der Welt interagiere. Dennoch kann ich erst durch Interaktion bis zum Kern meines tiefsitzenden inneren Zweifels vordringen, da ich diese tiefsitzenden Widerhaken nicht spüren kann, wenn ich ausschließlich auf mich selbst fixiert bin in meiner Nabelschau. Es ist nicht das physische Sich-Abkehren, welches diese innere Wackeligkeit bezüglich meines Selbstwertes stabilisieren kann, sondern wenn ich in der Lage bin, mein inneres Allein sowie meine innere Richtigkeit auch leben und ausdrücken kann im Verbund mit allem anderen.
Dies bedeutet weiterhin, meinen Fokus abzukehren von all den Wünschen und Vorstellungen meiner Freunde, meiner Familie, den Vorgaben meiner Lebenszusammenhänge, und in Interaktion mit all diesem dennoch unbeirrt meinen eigenen Weg zu finden und zu gehen. Wieder und wieder und wieder. Täglich. Nicht „gegen“ all die anderen, sondern trotz all diesen Ansichten und Vorstellungen, die permanent auf mich einprasseln.
Die Erkenntnis von gestern Abend war jedenfalls: trotz allem anderen und trotz all meiner Lieben und trotz der Lebensumstände, in denen ich mich finde, mein Gesicht dem kalten Wind zuzuwenden. Denn erst wenn ich dies tue, akzeptiere ich mein Allein und gehe weg von der abstrusen Vorstellung, auch nur irgendjemandem „helfen“ zu können. Ich meine, das habe ich sowieso nicht – also nicht bewußt – dieses Bedürfnis; doch meine Haltung, vor allem mein Fokus zeigt mir, daß auf einer unbewußten Ebene genau eine solche Einstellung vorhanden ist. Jeder ist auf seinem eigenen Weg in seiner eigenen Entwicklung – weder kann noch will ich hier eingreifen. Doch alles beeinflußt sich immerfort gegenseitig, auch wenn es sich in meinem Erleben stets um mein „eigenes Allein“ handelt.
Erst wenn ich mutig mein Gesicht dem Unbekannten entgegenhalte, bin ich in der Lage, überhaupt meinen Weg zu gehen. Möglicherweise schlägt mein Weg eine Bresche und eröffnet neue Wandermöglichkeiten; doch kann dies nicht der Sinn sein, weshalb ich mich dem kalten Wind entgegenstelle. Es ist vollkommen unerheblich, ob auch nur irgendjemand sich angesprochen fühlt, einen neuen Wanderweg einzuschlagen oder ob jener Unkraut-überwuchert in Vergessenheit gerät – denn das einzige, das einzige, was immer und überall zählt ist: den eigenen Weg zu gehen. Und auf dem eigenen Weg ist man immer allein innendrin.
(Spax 25.6.15)
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