Verbindung üben

3. April 2017 at 00:55

Sport-Bogenschießen_SNIP_ractapopulousIch lese gerade wieder einmal den Friedvollen Krieger,1 und was mir jetzt nach 25 Jahren auffällt ist, daß alle auch ihre Übungen machen; Übungen zu machen speichert Energie oder setzt andererseits welche frei. Regelmäßig. Und was mir noch auffällt ist: Ich habe damals nie diskutiert über meine Aufgaben, ganz gleich, worum es sich handelte. Ich habe sie gemacht. Ohne Diskussion! Mind mind mind.2 Daran wird wieder so deutlich, wie mein eigener Gedankenmüll mich permanent zulabert. Sorge hier, Sorge da. Was nutzen mir all meine Erkenntnisse, wenn ich das GEFÜHL nicht mehr habe?? Nichts!!! Garnichts. Life is simple! Wir selbst machen es kompliziert.

Welche Aussage von den vielen relevanten war es? Das Beispiel des nervösen Fischleins,3 das bei jeder noch so winzigen Störung zusammenzuckt. Der Mind will nicht gestört werden. Der Mind will sich nicht verändern und immer nur passiv irgendwo herumsitzen. Socrates sagt, wir zappeln und unsere Widerstände regen sich, sobald wir mit einer unvorhergesehenen Situation konfrontiert sind. Das stimmt genau. Anstatt unbefangen in der neuen Situation zu agieren, wird unsere jeweilige Befindlichkeit verteidigt und somit die Zweitpersönlichkeit. Sobald ich „mich“ verteidige oder eine Situation ablehne, weiß ich, daß ich nicht frei bin, sondern den abhängigen Energien meiner Zweitpersönlichkeit Vorschub leiste. So geschickt ist dieser Mechanismus, daß es mir 25 Jahre nicht einmal aufgefallen ist, daß ich mich tatsächlich schon längst wieder auf der Gedanken-Autobahn befinde und dies tatsächlich der allereinzige Grund ist, weshalb ich nicht in meine Stille-Blase gelange. Sobald man in der Wachsamkeit den eigenen Gedanken, Gefühlen oder Handlungsweisen gegenüber nur eine Winzigkeit nachläßt, ergreift der Mind – unsere unkontrollierten Affengedanken – automatisch wieder das Ruder bzw. greift danach.

Ich habe Dinge aufgehört zu machen, weil sie plötzlich keinen Sinn mehr ergaben oder weil ich keine Lust mehr darauf hatte, und weil ich die Sorge um meine Person wieder zugelassen habe, während ich mich all die Jahre so „weise“ und überlegen fühlte. Doch jede einzelne Sorge und jeder einzelne Wunsch, und jede Weigerung egal was oder wem gegenüber stärkt die Zweitpersönlichkeit, den Mind, der längst wieder die Herrschaft erlangt hat über mein Alltagsleben, ohne daß ich es auch nur gemerkt hätte!

Das ist der eigentliche Sinn der Übungen: die Stille-Energie, das Schweigen meiner Automatikgedanken zu erwirken; und keine Handbreit das Feld dem Mind zu überlassen. Hier war Canada4 ein Bruch, denn zuvor habe ich zumindest ein wenig noch meine Übungen gemacht, und hatte zumindest noch ein Empfinden für das Einheitsgefühl. Ich konnte es an- und ausschalten, was heißt, daß ich schon längst nicht mehr in meiner Einheit war. Meine Sorge, meine Wünsche… Gestern beim schneiden der Frühlingszwiebeln ist mir das aufgefallen, denn während des Tuns hat sich wieder etwas verbunden in mir.

Verstand-6-Zweitpers_SNIP_geraltMind! Es ist der Hammer, welch irrsinnige Macht er über uns hat. Irrsinn ist das! Ich nehme mal an, daß all meine geliebten spirituellen LehrerInnen wahrscheinlich eine ähnliche Phase der Konsolidierung für ihr eigenes Aufwacherlebnis hatten und daß sie selbst irgendwann diesen Zusammenhang, diesen Mechanismus erkannt haben. Don Juan5 sagt, als der Nagual Julian und andere jener Gruppe gegangen waren, waren alle Leute seiner eigenen Gruppe verstreut, so wie es bei Castaneda dann auch der Fall war, als Don Juan und dessen Gruppe ging. Es war Silvio Manuel, der alle aus Don Juans Gruppe wieder zusammengeführt hat. Und dieses „zweite Aufwachen“, welches danach folgte, war das entscheidende, was sie dann letztlich zu den überragenden Meistern der Anwendung von Wahrnehmung machte, nicht das erste Aufwachen.

Wie sehr es darum geht, die Individualität auszuschalten, zeigt das Beispiel von den vier Tulios:6 Dazu gehört schon etwas, allein durch Absicht und Übung sich auf eine gemeinsame Persönlichkeitsstruktur nach außen hin zu einigen und dies dann auszuagieren, dies zu werden. Die Abhängigkeit von unseren Zielen, vom Gewinn, den wir durch unsere Handlungen erwarten, ist ebenfalls ein Anzeichen, daß hier unser Mind, unsere Zweitpersönlichkeit am Werk ist! Und welch gute Idee es daher ist, sich auf etwas anderes zu fokussieren, was man darstellen möchte – jemanden darzustellen mit total unliebsamen Eigenschaften, die von niemandem geschätzt werden. Man ist erst frei, wenn es einen nicht mehr kümmert, wer man nach außen hin ist oder was man darstellt. Erst dann kann man über sich selbst wirklich lachen, weil man sich nicht mehr identifiziert mit irgendwelchen Attributen einer wie auch immer gearteten Persönlichkeitsstruktur.

Das ist der Grund, weshalb all die Lehrer ihre Übungen beibehalten, selbst wenn sie noch so abgefahrene Handlungen durchführen können: Sie wissen ganz genau über diese Falle Bescheid, weil sie sie selbst erfahren haben. Aufwachen genügt nicht, man muß auch dranbleiben. Und das ist der Punkt, an dem ich ausgestiegen bin. Ich habe diesen Einheits-Zustand als selbstverständlich genommen. Ich habe nicht im mindesten bemerkt, daß ich wieder anfing, mir über mich, die Welt, meinen Platz darin oder die Schritte, die ich unternehmen „sollte“, Gedanken und dann auch Sorgen zu machen.

Zusätzlich habe ich den Rest meiner Welt ausgesperrt, und das ist, was ich heute noch mache. Das heißt, ich verteidige durch dieses Verhalten bloß meine Befindlichkeiten. Ich habe die Stille in mir verknüpft mit Allein-sein, weil ich sie hier deutlich spüren konnte und nichts und niemanden benötigte hierfür. Aber ich konnte den Zustand des Alleinseins auch nicht mehr genießen irgendwann. Ich habe mich gelangweilt mit mir selbst, habe aber meine großartige Wichtigkeit dadurch verteidigt, daß ich alles andere um mich her ausgesperrt habe. Krass, wie stark das ist in uns!

Erledige die Aufgaben anyway – und wenn es bloß als Übung ist! Alles muß man üben, bevor man es auch sicher anwenden kann, auch das Zauberer-sein oder ein Krieger zu sein! Und an dieser Stelle bin ich dann ein paar Jahre später ein zweites Mal ausgestiegen – absichtsvoll –, weil ich mich vor meiner eigenen innewohnenden Power gefürchtet habe. Es ist genau so: Was nützen mir all meine dollen Erkenntnisse, wenn ich im Alltag nichts davon auch umsetze??!! Genauso, wie ich mein Schießen beim Boule trainiere, muß ich die Wahrnehmung meiner Verbindung mit meinem Higher Self trainieren. Wegzulaufen, weil mein Higher Self sich so machtvoll anfühlt und ich Angst habe, davon verschluckt zu werden, zählt nicht. Es ist – wie jede Angst – bloß das Zittern unserer Zweitpersönlichkeit, ihre Macht, die sie über uns hat, zu verlieren.

Geist-Silhouette-Universum_SNIP_geraltDer ganze Sinnzusammenhang ist mir flöten gegangen darüber. Wen kümmert′s denn, weshalb ich als Mensch hier bin und wofür?! Ich bin hier, und das ist in sich ein unerklärliches Wunder. Ich war für nichts und niemanden wirklich aufmerksam als für mich selbst! Und immer benötige ich einen triftigen Grund, um mich überhaupt in Bewegung zu setzen oder irgendeine Aufgabe zu erledigen. Meine zwanghafte Besessenheit mit der Sinnfrage! Und das ist der Grund auch für all die sinn-losen Übungen von den LehrerInnen für Aktionen und Aktivitäten, die man nicht durchführt, weil man etwas erwartet hiervon, sondern um die eigenen Routinen zu durchbrechen.

Wieder Übungen machen, die meine Verbindung zum Higher Self stärken.7 Allem voran: mein zwanghaftes Denken aufgeben! Und nicht meine Interaktionen beschneiden, weil ich mein falsches Selbst verteidigen muß. „Vorhölle“ – ein sehr richtiger Ausdruck von diesem Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Zustand. Eine andere Vorhölle als vor dem Aufwachen, wo man einen leichten Vorgeschmack bekommt von den Möglichkeiten des Aufwachens und irgendwann nicht mehr zurück kann zu seinem Alltagsleben, weil es im Vergleich zu den anderen Möglichkeiten plötzlich schal und langweilig wirkt.

Auch das zweite Aufwachen ist nichts, was ich – so empfinde ich es – beeinflussen könnte, es passiert, wenn es an der Zeit ist. Das einzige, was ich zur Unterstützung tun kann ist, mich in diese Richtung zu fokussieren und mich entsprechend zu verhalten! All diejenigen Dinge auspacken aus meinem Repertoire, die mir dahingehend geholfen haben: Meditation zum Beispiel, Sport/Bewegung, und – ja – mein eigenes Essen zubereiten, meine Wohnung in Ordnung halten etc. All die kleinen alltäglichen Dinge tun, weil sie da sind, nicht für irgendeine Belohnung.

Ich sehe sehr sehr deutlich, in welcher Verfassung ich bin, wenn ich mich mit all jenen Lehrern vergleiche. Das sind abgrundtiefe Abgründe! Doch will ich immer sein wie sie und trage dieses Gefühl auch in mir. Doch ich bin nichts von alledem, solange ich mich in meinen Befindlichkeiten suhle!

Nachsatz
*)  Noch ein Gedanke von gestern: Ich kommuniziere ja ständig, mit meinem Higher Self oder mit der Quelle meines Bewußtseins. Wovor habe ich Angst? Vor Auslöschung? – das ist ja lächerlich. Es ist erstens immer nur die Zweitpersönlichkeit, die sich vor auch nur irgendetwas fürchtet und zweitens ist es die Zweitpersönlichkeit, die Angst hat vor „Auslöschung“.

*)  Wach sein! Spüren meine Welt und mich. Das Empfinden meiner Wachsamkeit mehr aktivieren. Mich selbst vergessen. Meine Befindlichkeiten ablegen und allem voran: sie nicht permanent verteidigen!!!

*)  An dieser Stelle sehe ich wieder die Sackgasse all der Tips und Methoden fürs Glücklichsein, denn sie stärken nur die eigenen Befindlichkeiten. Jene „Gutmensch-Glückseligkeit“ ist wie eine dicke rosarote Kaugummiblase, ein Zuckerguß über meine Befindlichkeiten und Begehrlichkeiten gestreut und sie stärkt enorm meine eigene Wichtigkeit. Ein Krieger ist etwas vollkommen anderes.

(Spax  3.4.17)

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Fußnoten

  1. Dan Millman: Way of the Peaceful Warrior, New World Library 2000 [1980] (engl.). [Titel der dt. Ausgabe: Der Pfad des Friedvollen Kriegers.] „Socrates“ war der Spitzname den Dan Millman seinem spirituellen Lehrer gegeben hatte.
  2. mind (engl.): Verstand, Ratio, unser Denkapparat (siehe auch Zweitpersönlichkeit).
  3. Dan erlebt sich in einer Vision als nervöser Fisch, der sich bei jeder größeren oder auch kleineren Turbulenz im Wasser erschrickt und Zuflucht am Grund zwischen Steinen sucht. Dort verbringt er dann den größten Teil seines Lebens.
  4. In 1998 war ich für ein paar Monate nach Kanada ausgewandert.
  5. Don Juan war der spirituelle Lehrer von Castaneda. Die Gruppe der Seher um Don Juan bezeichneten sich häufig als „Krieger“ oder „Zauberer“. Der Nagual Julian war wiederum der Lehrer von Don Juan.
  6. Vier fast identisch aussehende Männer in der Zauberer-Gruppe des Nagual Julian, die ihr einheitliches Aussehen durch intent (Beabsichtigung) erlangt haben. Hiermit verbunden waren bestimmte „abstoßende“ Gesten, die Don Juan dazu veranlaßten, Tulio als „unsoziale Person“ zu beschreiben. War man in dieses Geheimnis nicht eingeweiht, glaubte man, es gäbe nur einen Tulio. (Castaneda: The Power of Silence, S. 252 ff.) [Zum Thema „Individualität“ siehe auch Beitrag vom 7.4.17: zweigeteilt…]
  7. Siehe auch Beitrag vom 4.4.17: Tips für mehr Verbundenheit.