Sitting Buddha

22. Juni 2015 at 04:53

Buddhas-2_SNIPIch dach­te ge­ra­de mal wie­der an all die „Sit­ting Bud­dhas“ und die Fra­ge, wes­halb die Re­du­zie­rung mei­nes Aus­druckes auf die Ge­dan­ken­stil­le auch ei­ne Hin­de­rung mei­nes tat­kräfti­gen Aus­druckes zur Fol­ge ha­ben kann. Mir fal­len die zehn Och­sen­bil­der ein, die ei­ne Bil­der­ge­schich­te als Ana­lo­gie für das Auf­wa­chen dar­stel­len. Das ach­te Bild ist der lee­re Kreis, der die Er­fah­rung des Nichts re­präsen­tiert, die Er­fah­rung des Auf­wa­chens, und hier­mit die „Wie­der­ver­ei­ni­gung“, die Ver­bin­dung mei­nes Le­ben­dig­s­eins mit Al­lem-was-Ist: die Se­lig­keit, die hier­mit ein­her­geht und – auch dar­ge­stellt durch den lee­ren Kreis – die „Auflösung“ bzw. das Er­ken­nen der Zweit­persönlich­keit mit der Il­lu­si­on die­ser Mas­ke, die wir ge­lernt ha­ben zu tra­gen. Mit dem „Fal­len ins Nichts“ und die­ser Er­kennt­nis wird die Il­lu­si­on der Zweit­persönlich­keit zer­schla­gen.

Die al­ler­meis­ten Gu­rus, die in In­di­en oder an­ders­wo ver­ehrt wer­den, be­fin­den sich so­zu­sa­gen in die­sem Sta­di­um, in die­sem lee­ren Kreis. Es ist dies ei­ne so durch­schla­gen­de Er­fah­rung, daß man im­mer hier ver­wei­len mag. Doch die Ge­schich­te der Och­sen­bil­der geht hierüber hin­aus und das letz­te Bild zeigt – wie zu Be­ginn – den vor­mals Su­chen­den, wie er wie­der­um sein Bündel nimmt, auf Wan­der­schaft geht und durch die Welt zieht. Dies be­deu­tet vor al­lem, daß der nun auf­ge­wach­te Mensch sich wie­der hin­ein­be­gibt in das bun­te Trei­ben des Le­bens und dort wirkt, wo sei­ne Schrit­te ihn hinführen.

Nun ist die­ser Mensch voll und ganz ein­ge­taucht ins Jetzt, trägt die in­ne­re Stil­le wie einen Man­tel und weiß, daß je­der ein­zel­ne Schritt, den er tut, ein rich­ti­ger ist: Er hat die Angst ver­lo­ren, er han­delt nicht mehr aus ei­nem an­haf­ten­den Be­dingt­sein her­aus, son­dern sein in­ne­res Ich folgt den Schrit­ten sei­ner Füße. Er spürt die Welt mehr als daß er sie sieht, denn nun ist er ein win­zi­ger Teil von ihr ge­wor­den. Und dies, so mei­ne ich, ist der Un­ter­schied von je­nen, die den Rest ih­res Le­bens in „Me­di­ta­ti­ons­hal­tung“ ver­brin­gen und an die­ser Er­fah­rung fest­hal­ten und je­nen, die die­se Er­fah­rung als ei­ne von vie­len hin­ter sich las­sen und wei­ter­ge­hen, in­dem sie den „Berg der Er­kennt­nis“ wie­der her­un­ter­stei­gen.

Je­mand, der den „Berg der Er­kennt­nis“ wie­der her­un­ter­steigt, kann unmöglich Anhänger um sich sam­meln, die mit leuch­ten­den Au­gen zu ihm auf­schau­en und ein we­nig im Glanz des Gu­rus ste­hen möchten in der Hoff­nung, durch des­sen Wor­te der Er­leuch­tung ein Stück näher­zu­kom­men. Denn erst, wenn der Berg mit­samt der Er­fah­rung auch wie­der ver­las­sen wird, weiß der Auf­ge­wach­te, daß es nicht möglich ist, „das Auf­wa­chen zu leh­ren“. Erst dann weiß er, daß es ei­ne Er­fah­rung ist, die er mit nie­man­dem tei­len kann. Das Auf­wa­chen ist kein Kon­zept, das man er­ler­nen könn­te, denn wäre dem so – wie ge­sagt –, hätten wir es längst ge­meis­tert. Das Auf­wa­chen ist ei­ne Er­fah­rung, die durch das ein­sa­me Rin­gen mit sich selbst ent­steht vor dem Hin­ter­grund bzw. in der Aus­ein­an­der­set­zung mit die­ser als so grau­sam emp­fun­de­nen Welt.

Natürlich ist die Ver­lo­ckung sehr groß, in der Be­trach­tungs­hal­tung die­ser übermächti­gen Er­fah­rung ste­hen­zu­blei­ben. Doch ein Et­was, ein Ge­zo­gen­wer­den, wird ihn hier hin­aus­ka­ta­pul­tie­ren und er­neut in sei­ne be­kann­te Welt hin­ein­wer­fen, zu der er jetzt le­dig­lich ei­ne an­de­re Hal­tung, ein an­ders Ver­ste­hen hat, ei­ne neue Per­spek­ti­ve. Jeg­li­ches Ver­har­ren in oder Be­har­ren auf be­stimm­ten Zuständen ist ein Still­stand.

Die köstli­che Er­fah­rung, wenn ein großer Wunsch in Erfüllung ging – sei es der Er­werb ei­nes Trau­m­au­tos, ein ver­lo­cken­der Job, ei­ne Lie­bes­be­zie­hung – bleibt nicht als dau­er­haf­tes Gefühl, denn nach kur­z­er Zeit ver­blaßt auch die schöns­te Er­fah­rung zu ei­ner Er­in­ne­rung, da das je­weils Er­reich­te nun zum Alltägli­chen gehört. Sitzt man im­mer nur auf der­sel­ben Berg­spit­ze, wie könn­te man je er­fah­ren, daß es womöglich noch wei­te­re Berg­spit­zen gibt, die man er­klim­men könn­te? Im „nor­ma­len All­tags­le­ben“ den­ken wir gar­nicht darüber nach: Wir be­ju­beln die Gip­fe­ler­fah­run­gen und emp­fin­den die Täler als Mühsal viel­leicht, aber wir zie­hen wei­ter.

Und da­her ist ein Gu­ru, der für im­mer auf sei­ner persönli­chen Gip­fe­ler­fah­rung hocken­bleibt nicht viel an­ders als je­mand, der an sei­nem neu­en Au­to hängt, die­ses täglich auf Hoch­glanz po­liert, es aber an­sons­ten in die Ga­ra­ge stellt, da­mit es durch die Be­nut­zung nicht beschädigt wird. Das Le­ben will ge­lebt wer­den. Und nur wenn der Gu­ru von sei­nem Berg wie­der her­un­ter­steigt, wird er er­ken­nen können, daß es un­gezähl­te wei­te­re Er­fah­run­gen und Er­kennt­nis­se gibt, die auf ihn war­ten.

(Spax 22.6.15)

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