Jeder Gedanke ein Widerstand

12. April 2017 at 01:19

 Gedanke-Widerstand_SNIP_pixel2013Jeder Gedanke ist ein Widerstand! Sobald auch nur irgendein Gedanke in meinem Kopf auftaucht – und zwar ganz gleich, ob es ein halbwegs bewußter Gedanke ist oder eben das unaufhörliche Hintergrundgeplapper, das uns den ganzen Tag begleitet –, so ist es mir nicht möglich, die Stille zu hören. Das ist mir vorhin im Bett beim Aufwachen aufgefallen: Wenn kein Gedanke vorhanden ist, höre ich automatisch die Stille! Vielleicht nennen wir es deshalb auch „innere Stille“; denn erst wenn kein Gedanke mehr vorhanden ist, der mir in den inneren Ohren dröhnt, bin ich ja überhaupt in der Lage, die Stille in mir selbst auch wahrzunehmen. Dies ist unser natürlicher Zustand. Ich schätze, daß sehr viele Menschen ihn überhaupt nicht kennen.

Anstatt wie Don Juan1 es formuliert, wenn er davon spricht, wir müßten „Energie sammeln“, könnte man ebenso sagen, man müsse Momente innerer Stille sammeln. Energetisch ist es dasselbe. Der Effekt ist derselbe. Denn es geht ja letztlich darum, die Kopfgedanken auszuhungern. Die Zauberer sagen, unsere Energie wäre „misplaced“ (fehlgeleitet) und man müsse die Energie wieder umgruppieren, so daß sie uns wieder voll zur Verfügung steht. Das ist zwar ganz gut beschrieben, aber doch recht abstrakt. Für uns ist es sehr viel verständlicher, wenn wir einfach den Anleitungen für bestimmte Übungen folgen können – aus diesem Grund schlagen die Zauberer beispielsweise vor, sich in not-doing2 zu üben. Das ist interessant, denn bei den Not-doings handelt es sich um total unlogische Verhaltensweisen, die unser Verstand nicht nachvollziehen kann und daher für idiotisch hält. Auch hieran sieht man, wie sehr wir gelenkt sind von bestimmten Gedankenketten. Um dieses Gedankenkorsett zu lockern stärkt man die „unlogische“ Seite, die verknüpft ist mit unserer Inspiration usw. Das ist, was die Zauberer meinen, wenn sie davon sprechen, die Energien wieder neu zu gruppieren bzw. sich Energie wieder zurückzuholen, so daß wir sie zur Verfügung haben.

Ist das nicht erstaunlich?! – Wenn ich es mir bildhaft vorstelle, so macht sich der mind3 in unseren Köpfen breit und breiter und setzt sich dort fest. Damit übernimmt er die Herrschaft über all unser Denken und folglich unser Handeln. Der Mind regiert auf diese Weise jede unserer Zellen. Die Lebensenergie, die uns allen zur Verfügung steht, wird während dieser Herrschaft quasi aus dem Körper verdrängt. Letztlich macht uns dieser Prozeß zu einer Art Roboter, denn wir lernen ja, uns komplett mit dem Mind zu identifizieren, mit unseren Kopfgedanken, die all unsere Energie in Anspruch nehmen.

Und das ist letztendlich der eigentliche Grund, weshalb wir unser Leben als anstrengend empfinden. Das allein! Wir fühlen uns ja permanent fremdbestimmt; doch wir münzen die Fremdbestimmung grundsätzlich auf das Außen: Wir fühlen Widerstände gegenüber der Gesellschaft, irgendwelcher Vorgesetzten, anderer Leute oder Meinungen, unseren Partnern, Familienmitgliedern, dem Wohnort, Aktivitäten – ganz egal, jeder Widerstand, den wir empfinden scheint für uns im Außen zu liegen. Was wir nicht realisieren ist, daß wir fremdbestimmt sind durch unsere eigenen Gedanken, die einen freien Fluß unserer Lebensenergie verhindern. Die Fremdbestimmung liegt einzig und allein in unseren Köpfen. Jeder Gedanke ein Widerstand.

Und das ist weiterhin ein Grund, weshalb all die spirituellen LehrerInnen immer mit dem Körper arbeiten: um die Lebensenergie wieder spürbar zu machen, und natürlich auf vielfältige Weise versucht wird, den Denkprozeß auszuschalten. Der Fokus muß vom Mind und unserer Identifizierung mit ihm abgezogen und wieder mit dem Körper verbunden werden. Deshalb wieder und wieder die Betonung, im Hier und Jetzt zu leben und den Fokus auf den unmittelbaren Augenblick zu legen, denn unser Körper befindet sich immer im aktuellen Augenblick, er kann nicht anders. Doch unser selbstverliebter Mind bläht sich auf mit Gedanken an Gestern oder Morgen, existiert ausschließlich in einer Phantasiewelt von Vergangenem und Künftigem. Das kostet uns unser Leben!!! Denn die eigentliche Lebendigkeit und die Energiemassen, die uns für unser Leben zur Verfügung stehen, haben wir ausgelagert, um stattdessen all die Phantastereien über uns selbst oder ein bestimmtes Leben, das wir uns erträumen, als Kopfkino zu unterhalten. Und hierzu zählen nicht bloß all unsere Wunschträume, sondern jeder einzelne Gedanke!

Ich glaube, ich habe das noch nie so klar erkennen können. Die Auswirkungen, ja, die habe ich natürlich gespürt und das positive Lebensgefühl, das die innere Stille auf mich und mein Leben hat; nicht aber in dieser absoluten Deutlichkeit, daß jeder einzelne Gedanke die Ursache für all unsere Widerstände ist.

Gedanken ziehen direkt unsere Körperenergie ab, sie verursachen spürbar unbewußte Muskelanspannungen, die wir längst schon nicht mehr bemerken. Das ist der Grund, weshalb wir, je älter wir werden, umso steifer werden: weil wir mehr und mehr unspontan werden und uns irgendwann nur noch mit unseren Gedankeninhalten befassen. Das ist, was schlußendlich den „Verfall“ des Körpers verursacht, nicht, daß wir keinen Sport machen. Sonst wäre ja jeder Sportler ein Vorbild an Aufgewachtheit – sind sie aber nicht, sie haben nur einen besser trainierten Körper. Auch all die Gurus, die nur noch meditierend auf ihrem OM-Kissen sitzen, haben sich herausgeschlichen aus ihrem Lebenszusammenhang, aus ihren Körpern. Sie negieren komplett die Welt, in der sie leben, indem sie ebenfalls ihre Körperimpulse ignorieren und alles „fleischliche“, den Ausdruck über oder durch die Materie ablehnen. Doch die wirkliche Verbindung ist der Ausdruck in der Form im aktuellen Hier+Jetzt. Kein einziges Tier hockt irgendwo auf seinem Hintern und „wartet auf göttliche Erlösung oder Eingebung“, denn sie spalten sich nicht auf in eine Idee von Körper und Geist (Getrenntheit), sondern drücken ihr Sein aus mit und im und durch den Körper.

Ganz gleich, was wir tun, es geht immer nur um das Eine: die Gedanken auszuschalten und die Körperimpulse wieder zu spüren und diesen zu folgen. Auf welche Weise wir das erreichen, ist vollkommen egal, es geht darum, unserer Besessenheit mit unserer Gedankenwelt Adieu zu sagen.

(Spax  12.4.17)

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Fußnoten

  1. Don Juan war der spirituelle Lehrer von Castaneda. Die Gruppe der Seher um Don Juan bezeichneten sich häufig als „Krieger“ oder „Zauberer“.
  2. not-doing (engl): nicht-tun. Die Zauberer bezeichneten alle Verhaltensweisen als not-doing, die aus unseren üblichen Verhaltensmustern herausfallen oder diesen entgegengesetzt sind: z.B. rückwärts gehen statt vorwärts, auf einem Bein zu hüpfen anstatt normal zu gehen usw.; der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
  3. mind (engl.): Verstand, Ratio, unser Denkapparat. (siehe auch Zweitpersönlichkeit)