innerer Aufruhr

10. März 2017 at 01:05

Tiger-1_SNIP_GellingerWeshalb bin ich so zornig untendrunter zur Zeit? Das ist echt total der Wahnsinn! Bei jedem Pipifax spring ich an die Decke wie ein Löwe mit einem Dorn in der Pfote. Das ist wirklich ein bißchen krass. Und selbst Bewegung scheint nicht allzuviel zu helfen. Sehr seltsam. Das ist auch eine Funktion, die andere Menschen auf mich haben: sie beruhigen diesen Tiger in mir. Es ist, was ich auch mit Papa gelernt habe – obwohl nein, das ist, was man automatisch macht: man ist freundlich zu anderen Leuten. Oder ich bin es jedenfalls. Das habe ich gemerkt, als ich auch so komisch drauf war und dann einen Freund zurückgerufen habe; danach war ich viel besser drauf, nur weil ich ein paar Takte mit jemandem gesprochen habe. Manchmal finde ich auch überhaupt erst heraus, wie ich drauf bin, wenn ich Interaktion habe. Es geht mir zum Beispiel gut, ich fühle mich wohl, und mit dem ersten Satz, den ich sprechen muß (z.B. beim Einkaufen), möchte ich meinem Gegenüber den Kopf abbeißen. Dann weiß ich, das ist ein Tag, an dem ich besser keinen Außenkontakt habe. Finden, was mich beruhigt. Weshalb bin ich so in Aufruhr?

Ich liebe es, vor mich hinzuträumen. Ist es das? Komme ich auf diese Weise noch „näher zu mir“? Was ist es, das ich wahrnehme? Mit dem Taekwon-Do konnte ich früher meine Kraft regulieren, sie oder meinen Zorn nach Außen abgeben, ohne jemanden zu verletzen. Sport bzw. Bewegung hat generell diesen Effekt, obwohl halt auch nicht immer. Ich habe genügend Tage gehabt, wo ich mich beim Schwimmen ausgepowert habe, und danach aber immer noch schräg drauf war.

Jemand, der wirklich im Jetzt ist und verbunden – z.B. all meine vorbildlichen Lehrer, die ich so liebe –, läßt sich nicht von seinen Gefühlszwängen mal hierhin oder mal dorthin ziehen. Zumeist werden solche Menschen irgendeinem emotionalen Ungleichgewicht nicht einfach folgen, die Befindlichkeit aber auch nicht diskutieren. Nein, sie haben kein emotionales Ungleichgewicht! Sie sind immer in Balance, weil sie eben im Jetzt sind. Da klammert man sich nicht an solche Trigger – weder an Gefühle noch Gedanken –, denn in der Verbundenheit identifiziert man sich weder mit dem einen noch dem anderen! Und es ist ein großer Unterschied, ob ich lerne, derlei Auslöser zu „unterdrücken“, oder ob ich in der Verbundenheit bin.

Meine Außenwelt ist mein Spiegel, mein Regulativ. Wenn ich solche Ausbrüche habe und beispielsweise meine Therme malträtiere, ist es eine gute Idee, mich zur Räson zu rufen. Ich – ich – ich – all diese Befindlichkeiten, sie sind nichts, sie sind nicht Ich! Und es ist ein weiterer Unterschied, ob ich das „Gutsein“ spiele oder ob ich es bin. Jeder Zorn, jeder blödsinnige Gedanke, an den ich mich hänge, ist ein Widerstand für die Verbundenheit, verhindert das Fließen.

Guru-1_guru-771783_1920_mssrusso0Auch das „Wollen“ aufgeben. Ich kann sagen „Achja, ich habe mir dieses oder jenes Wetter erschaffen“, aber eine andere, zu sagen „Ich möchte jetzt gern lieber Sonne/Regen/Wärme“. Das eine ist ein Annehmen, das andere ein Wunsch. Und jeder Wunsch ist der Ausdruck eines Ungleichgewichts, bezeichnet im Kern einen Mangel. Jedes Wünschen oder Wollen sagt mir daher: Ich bin nicht zufrieden mit dem was ist, was ich mir erschaffe oder was ich bin.

Alle Dinge sind gleichwertig, alle! Und das macht die Gelassenheit der Weisen aus, daß sie dies wissen und leben und daher ihre Welt nicht einteilen in Dinge, die gewollt sind oder ungewollt, denn sie hängen sich nicht an auch nur irgendetwas. Die Weisen hängen sich nicht an Bewertungen, denn diese ergeben keinen Sinn; die Weisen definieren sich selbst nicht über das, was in ihrem Leben geschieht, werten das eine nicht auf und das andere nicht ab. Sie gehen mit Gelassenheit in jeder Situation um, weil sie sich nicht an ein Ich hängen, das sich über „gut, schlecht, besser und am-besten“ definiert.

Das Jetzt ist kein Zustand, den man beobachtet innerlich, sondern ein Zustand, in dem man ist, in dem man lebt, in dem man verbunden ist, in dem man weder gut noch schlecht diskutiert. In einem Zustand, der nicht wertet, gibt es auch keinen Hader mit egal welchen Umständen. Doch sobald ich anfange, die Dinge zu unterscheiden und aufzuteilen in Gut und Schlecht, werte ich; und diese Wertung ist immer bezogen auf meine Zweitpersönlichkeit – auf ein künstliches „Ich“, das seinen Wert definiert über ausschließlich solche Bewertungen. Wie die Zweitpersönlichkeit sich doch wehrt, ihre alberne Wichtigkeit aufzugeben.

Bewertungen sind Gift. Es gibt kein Gut und kein Schlecht. Es gibt kein „Wie fühle ich mich heute?“, um dementsprechend meine Handlungen auszurichten. Wenn ich meine Handlungen nach „gut“ und „schlecht“ sortiere – also nach meinen Befindlichkeiten – habe ich damit bereits ein Ungleichgewicht in mir erzeugt. Immer noch definiere ich meine Handlungen nach solchen Gesichtspunkten. Ich bin nicht frei. Mich abwenden von all diesem Aufruhr in mir drin. Mich, mein Pseudo-Ich loslassen! Das ist das einzige, was zählt: meine innere Verbindung und Verbundenheit, alles andere ist eine Farce.

Zwei Welten, die in mir toben – die Klammer-Welt und die Verbundenheits-Loslaß-Welt. Die eine ist aggressiv, die andere sanft. Und ein jegliches „Unglück“ oder Unwohlsein gehört ausschließlich zur Klammeraffenwelt, in der allein es Bewertungen gibt, denn sie funktioniert durch nichts anderes. Ich klammere mich also an meine Gefühlsausbrüche und -schwankungen, ich klammere mich an meinen unausgegorenen Gedankenwust, ich klammere an all meinen Bewertungen, ich definiere meinen eigenen Wert über Gut + Schlecht.

Nirgendwo hinwollen – meingott, wie oft habe ich wohl diesen Satz aufgeschrieben! Nirgendwo hinwollen. Mein innerer Aufruhr hat mich voll im Griff, genau das sehe ich durch meinen inneren Aufruhr.

(Spax  10.3.17)

Download PDF