Im Angesicht des Nichts

10. März 2017 at 01:46

Bank-einsam_SNIP_FelixMittermeierVorhin bin ich aufgewacht im Nichts! Ich kann garnicht sagen, was für ein Gefühl das ist. Ich lag im Bett und alles war wie totenstill. Kein einziges Geräusch, außer ein Meislein mit seinem Frühlingsruf. Ich konnte diesen Moment nicht halten, weil mein Tagesbewußtsein und meine Ratio sofort zur Stelle waren, um alles zu erklären, um mich aus diesem Zustand herauszuholen. Ich kann nicht sagen, ob er angenehm oder unangenehm war, aber auf jeden Fall war er anders und sehr ungewohnt. Das Erkennen wie in einer Starre. Diese Stille. Dieses totale Allein-Empfinden. Ich kann nicht sagen, daß ich Angst gehabt hätte. Was mich herauszog aus dieser Wahrnehmung war eine beginnende Panik meiner Zweitpersönlichkeit, die die unbekannte Situation, das fremdartige Empfinden sofort als etwas Bedrohliches wertet. Automatisch. Das ist doch echt auch interessant.

Hierzu fallen mir all diese Science-Fiction-Filme ein, in denen es ja (leider) zu 90 % darum geht, das Unbekannte – hier meist ETs, andere Welten und Wesen – zu bekämpfen und zu vernichten anstatt es kennenzulernen. Ohne wirklich nachzudenken wird sofort drauflosgehauen. Wirklich, ohne nachzudenken. Unsere abgrundtiefe Angst vorm Unbekannten hat tief innendrin genau diesen Effekt. Wir bezeichnen es dann als unsere „tiefsten Instinkte“ und daß wir evolutionstechnisch „gelernt“ hätten, vorm Tiger davonzulaufen. Aber das ist es überhaupt nicht! Es ist die Zweitpersönlichkeit, die sich ausschließlich auf Angst gründet und vollkommen blind reagiert.

Wie wertvoll es in dieser Hinsicht ist, sich hierüber bewußt zu sein und man daher die Möglichkeit hat, einen Moment innezuhalten, stehenzubleiben anstatt blind fortzulaufen oder draufzuschlagen. Genau das ist es, was Don Juan1 irgendwo erklärt: Dieser Moment des Innehaltens ist Gold wert, denn er ermöglicht uns, erstens die Situation neu und anders einzuschätzen und zweitens dann anders zu reagieren. Mir bewußt zu sein in einem solchen Moment, daß ich die Wahl habe, anders zu reagieren, daß es mein falsches Selbst mit seinen erlernten Automatismen ist, das mich hier in seinen Klauen hält, was aber nicht das geringste mit der aktuellen Realität zu tun hat, denn das innere Selbst kennt keine Angst!

Mein inneres Selbst definiert sich weder über Angst noch sonst irgendetwas, für mein inneres Selbst gibt es lediglich Wahrnehmungen, und zwar ohne jegliche Bewertung. Da mein inneres Selbst stets weiß, daß es ewig ist, lebt es in der Freiheit, neugierig und unvoreingenommen in jede Situation hineinspringen zu können. Es weiß, es kann niemals ausgelöscht werden, es bangt nicht um seine Existenz. Und dies ist ein tief verankertes und verwurzeltes Wissen, nichts, was es sich ausdenkt oder einreden müßte. Es ist dies. Und wenn ich auch in einem Moment des Innehaltens nicht automatisch Zugang oder Verbindung bekomme zu und mit meinem inneren Selbst, so ist es mir doch möglich, Abstand zu nehmen von meiner angstbegründeten Automatik-Reaktion der Zweitpersönlichkeit.

Wie super anstrengend doch unsere Zweitpersönlichkeit für uns ist! Sie hat uns fest im Griff, solange wir uns an unsere Emotionen und Gedanken hängen; solange wir uns identifizieren mit all unseren Befindlichkeiten und Bewertungen. Also mache ich dies: Ich halte inne und starte neu – in diesem Augenblick und in einem nächsten; wieder und wieder, tausendmal an einem Tag…

 Gummibärchen_SNIP_RonileWas ich auch noch eine spannende Beobachtung fand an diesem Zustand heute morgen war, daß ich diese Angst – wenn nicht gar einen Anflug von Entsetzen – gespürt habe bezüglich meiner Wahrnehmung absolut und total alleine zu sein. Und sofort ohne jedes Nachdenken meine Vorstellung zu all den anderen Menschen meiner Welt wandert, in dem Wunsch, mich zu verbinden und auszutauschen, mir selbst zu versichern, ich sei nicht: allein. Doch alles alles ist und bleibt meine eigene Wahrnehmung, meine eigene Schöpfung, ganz gleich, was ich wahrnehme. Auch hierüber spricht Don Juan: daß unsere Illusion auch darin besteht, uns mit all den anderen nicht allein zu fühlen, wir uns von morgens bis abends dies bestätigen durch all unsere Interaktionen. Ich dachte immer, ich verstünde dies, weil die erste Erkenntnis des Aufwachens ist: Ich bin Allein.2 Aber jenes Allein hatte bei weitem nicht dieses allumfassende „Entsetzen“ als Grundlage, sondern gründete sich lediglich auf die Wahrnehmung, in dieser Welt, mit meinen andersartigen Wahrnehmungen allein zu sein.

Daher das hieraus resultierende Bestreben, sich innerlich eine andere Welt mit anderen Grundvoraussetzungen zu schaffen; eine Welt der „Gemeinsamkeit im Sein“. Daher auch die Idee, mit all den ETs und Wesen „höherer Schwingungen“ sich verbundener zu fühlen als mit den Mitmenschen dieser Welt, die sich auf all diesen verdrehten Wahrnehmungen gründet. Daraus resultiert dann ein Gefühl der Andersartigkeit, das Empfinden, nicht wirklich dazuzugehören sowie einer Überlegenheit, weil man jetzt andere Zusammenhänge und eine andere Grundstruktur erkannt hat. Das ist ein Allein-Empfinden, das sich über eine Außenseiter-Position definiert und genauso vorgaukelt, man sei nicht allein, denn hier wird ja lediglich die Gemeinschaft gewechselt, der ich mich zugehörig fühle oder fühlen möchte. Es ist ganz genau derselbe Mechanismus, wie wenn ich mit anderen Menschen interagiere zum alleinigen Behuf, vor mir selbst diese Tatsache zu verschleiern.

Doch jenes andere Allein-Empfinden ist all-umfassend, es gilt überall und grundsätzlich und in jedem Zusammenhang. Es ist markerschütternd. Doch genau das ist das Loslassen, das Sich-Loslösen von Allem, von allen Definitionen über ein scheinbares Selbst, das Wert und Wichtigkeit ausschließlich über seine Lebenszusammenhänge und all seine selbsterschaffenen Spiegel erhält, nicht aber allein aus sich selbst. Universen zerschmelzen in dieser Erkenntnis, alles löst sich auf in dieser einen Wahrheit, denn alles, was ich wahrnehmen kann reduziert sich auf diesen einen Punkt: allein. Nichts ist man hier und Alles zugleich, Schöpfer wie Ungeschaffenes.

Ich habe damit gelebt, ohne es wirklich zu begreifen. Und wie Don Juan auch so schön sagt: Jetzt, wo ich es in Worte fassen und mir erklären kann, weiß ich es erst; das heißt, ich habe offenbar genug Energie freisetzen können, um zu diesen Erkenntnissen zu gelangen. Was bin schon „Ich“? Ein Nichts, ein Alles, und im Moment ein Mensch, der wahrnimmt…

(Spax  10.3.17)

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Fußnoten

  1. Don Juan war der spirituelle Lehrer von Castaneda. Die Gruppe der Seher um Don Juan bezeichneten sich häufig als „Krieger“ oder „Zauberer“.
  2. Siehe hierzu auch den Beitrag vom 13.2.17: Erkenntnisse des Aufwachens.