Ich schreibe, also bin ich
Was soll es nützen, wenn ich mich schon wieder wegen meinem Aufstehen gräme? Ah, das ist auch etwas, was mir die Seiten1 geben: einen Fokus auf mein ödes Gejammere. Ich bin es nämlich so leid, immer dasselbe Gejammer über immer dieselben Dinge hier auf meinen Seiten zu finden. Die Seiten sind ein hervorragender Spiegel. Und eben durch diesen Spiegel gelange ich dann ins Handeln – einfach weil ich mein ödes Gejammere über immer dieselbe Sache zum Beispiel nicht mehr hören kann. Die Morgenseiten setzen Energien frei. Denn weil man irgendwann seine eigene Leier nicht mehr hören mag, kann man seine Handlungs- und Denkmuster verändern.
Ich habe zu K. gesagt „das Schreiben zeigt mir, was ich denke“ bzw. „würd ich nicht schreiben, wüßt ich garnicht, was ich denke“. Und das stimmt, denn der ganze Gedankenwust läuft zu 90 % unbewußt ab. Wir nehmen etwas wahr – ganz gleich was – und dieses Wahrgenommene regt einen Gedanken in mir an. Dieser Prozeß läuft total unbewußt ab. Daher sage ich: Ich weiß nicht, was ich denke, würd ich nicht schreiben. Das Schreiben zeigt mir diese Zusammenhänge und Prozesse auf. Und es ist zeitgleich ein „Mülleimer“, denn sobald ich etwas ausformuliert habe, ist es mir bewußt. Über diesen Prozeß kann ich erkennen, wie ich funktioniere, wie meine Gedanken- und Handlungsprozesse ablaufen und was sich alles an unverdautem Wust in meinen Gedanken findet. Indem ich es aufschreibe, kreiere ich diesen Spiegel und lege alles sichtbar auf dem Papier ab; und wenn ich es sehen kann, kann ich es erkennen und durch das Erkennen ist es quasi raus aus meinem System – ich bin dann kein Sklave mehr all meiner unbewußten Gedankenprozesse.
Durch das Erkennen dieser Zusammenhänge, bin ich dann in der Lage, etwas zu ändern. Wenn ich sehen kann, welche Denkprozesse meine Wahrnehmung anregt, werde ich vielleicht besser darauf achten, wie ich meine Wahrnehmung steuere und kann aktiv hierauf Einfluß nehmen. Denn es sind nie die Dinge „an sich“, die einen negativen oder positiven Denkprozeß einleiten, sondern meine Wahrnehmungsgewohnheit. Doch weil dies insgesamt ein Prozeß ist, der vollkommen automatisiert ist, nimmt man ihn nicht wahr und unterliegt dem Glauben, die „Realität“ und meine Reaktionen in ihr seien etwas „festgelegtes“, etwas, worauf ich keinen Einfluß hätte – eben weil dieser Prozeß uns so unbewußt in Fleisch und Blut übergegangen ist: Wahrnehmung = Realität; Wahrnehmung erzeugt meinen Gedankenprozeß und löst Empfindungen aus.
Das ist, was der McKenna2 als „Autolyse“ bezeichnet, als „Selbstverdauung“, die durch den Schreibprozeß angeregt wird. Die Psychoanalyse oder sonstwelche Therapien setzen immer nur bei den Auswirkungen dieses Prozesses an. Sie sind ein Spiel mit den Befindlichkeiten, mit all den Dingen, die ich gelernt habe für „wahr“ zu halten und den Auswirkungen, die diese Art des Denkens produziert. Wir sind Gefangene dieses Mechanismus. Doch keine Therapie hat das Bestreben, das eigentliche Geheimnis aufzudecken: die Entstehung unserer Realitätsempfindung durch das Setzen unseres Fokusses, wodurch meine Wahrnehmung entsteht, welche zeitgleich einen Denkprozeß in Gang setzt. Jegliche Therapieform ist ein Herumoperieren an und mit der Zweitpersönlichkeit, welche ausschließlich die selbst erzeugten Befindlichkeiten für real hält.
Und warum ist dies so? Weil all unsere Therapieformen gleichfalls auf derselben Basis gegründet sind wie die Zweitpersönlichkeit und nicht dazu dienen können, das „falsche Selbst“ aufzulösen, sondern angelegt sind, uns als „Opfer“ von irgendetwas zu definieren. Und wenn man ein Opfer ist, gibt es auf der anderen Seite die „Täter“, die uns zu den armen Opfern gemacht haben: die Eltern, die Erziehung, die Gesellschaft, „böse“ Menschen etc. Wir wenden enorme Energiemengen dafür auf, anderen Menschen, den sogenannten Umständen oder Erziehungsprozessen eine Schuld zuzuweisen. Es wird nicht gesehen, daß jeder zu jeder Zeit selbst verantwortlich ist, weil er jederzeit in der Lage ist, seinen Fokus und damit seine Wahrnehmung zu verändern und auf diese Weise die eigenen Denk-, Gefühls- und Erfahrungsprozesse zu steuern.
Auch wird nicht gesehen, daß „Opfer“ wie „Täter“ zwei Seiten derselben Schwingungsmedaille sind. Und deshalb ist der Ausdruck „Selbstverdauung“ (Autolyse) gut, weil hierdurch all diese hintergründigen Prozesse zutage gefördert werden, sobald ich mich durch den Berg von Befindlichkeiten gewühlt habe und schlußendlich erkenne: All dies kreiere ich selbst. Ich, ganz alleine. Und zwar durch meine Entscheidung, meinen Fokus auf bestimmte Dinge zu legen. Das ist, was uns niemand sagt, daher ist es nicht bewußt: daß wir stets in der Lage sind, unseren Wahrnehmungsfokus selbst zu steuern. Falls es sich wirklich und wahrhaftig lohnt, etwas zu üben, so ist es dies alleine: aufmerksam darauf zu sein, wie ich meinen Fokus steuere und worauf ich meine Wahrnehmung lege.
Das, was McKenna „Maya“ nennt, die Illusion, ist quasi die Kernstruktur der Zweitpersönlichkeit, welche gelernt hat, um ihre eigene Existenz zu kämpfen. Sie liefert uns stets all die Begründungen dafür, weshalb wir uns nicht ändern könnten und dies auch nicht sollten. Die Zweitpersönlichkeit setzt sich ausschließlich aus all unseren Denkgewohnheiten und Glaubensgrundsätzen zusammen, sie ist ein Kunstprodukt, das wir für uns selbst und für wahr halten. Wenn man das Schreiben nicht zu Hilfe nehmen möchte bei der Dekonstruktion der Zweitpersönlichkeit, so vermögen dies auch „Handlungen, die keinen Sinn ergeben“. Denn hierdurch werden verkrustete Muster erschüttert und andere Bereiche unseres Bewußtseins angeregt, die je älter wir werden und je länger wir uns diese falsche Persönlichkeit antrainiert haben, desto tiefer vergraben sind. Alles, was nicht dazu angetan ist, meine üblichen Alltagsmuster zu stärken, weiter zu verfestigen und endlos zu wiederholen, hat die innewohnende Kraft, einen Keil zu treiben in das feste Gewohnheitsgefüge: in der Regel alle Handlungen, die nicht primär dazu dienen, einen unmittelbaren Zweck zu erfüllen. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“ – oh ja.
Dies ist das Ringen: Weitere und immer noch feinere Widerhaken und Überlistungsprozesse der Struktur unserer Zweitpersönlichkeit aufzudecken. Denn auch im aufgewachten Zustand agiert man weiterhin in dieser Welt, und die Tendenz, uns wieder in Befindlichkeiten oder automatisierten Reaktionen zu bewegen bleibt bestehen, solange wir uns in dieser Welt ausdrücken. Es wird leichter werden, sobald die kollektiven Strukturen beginnen, ihre starre Kruste zu verlieren. Vielleicht wird es auch nicht leichter, denn ein essentieller Anteil der Zweitpersönlichkeit ist der Wunsch nach Bequemlichkeit und somit: Trägheit, die sich vor allem im Denken breitmacht. Denn wenn ich zufrieden bin, gibt es keine Notwendigkeit mehr, etwas zu verändern.
(Spax 1.5.15)
Fußnoten
- Seiten = Morgenseiten.
- Siehe Bücher: McKenna.
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