Gefangene der Logik

21. Oktober 2017 at 03:46

Begriffe_SNIP_mental-2301393_johnhainIch schreibe seit Jahren dieselben Sätze. Das bedeutet: Ich denke seit jeher dieselben Gedanken. Ist das nicht ein wenig langweilig? Aber wir merken das garnicht, denn solange wir in unseren Köpfen, in unseren Gedanken unterwegs sind, bekommen wir hierdurch irgendwie den Eindruck von „Aktualität“, als wären die Gedanken im Hier+Jetzt. Als wären die Themen unserer Gedanken irgendwie von Belang – dabei geben wir die Themen selbst erst vor.

Wie kann es denn sein, daß unsere Automatikgedanken uns ein Gefühl von Hier+Jetzt geben? Vielleicht weil sie in irgendeiner Weise mit unserer Vorstellungskraft verbunden sind oder zumindest mit dem, was wir dafür halten. Weil wir unsere Welt und unser Leben in Gedanken mit Worten beschreiben, haben wir hierdurch den Eindruck, wir bekämen Erklärungen für unser Erleben. Doch im Kern stimmt das nicht, denn ein jegliches Aha-Erlebnis ist grundsätzlich mit dem Körper verbunden, ein Erleben. Alles andere ist Logik, welche sich ihre Erklärungen herleitet.

Die Logik an sich bezieht jedoch ihre Verknüpfungen aus einem bereits bestehenden Erklärungsmodell. Sie erklärt von daher lediglich Hergänge, die sich auf unsere selbst definierten Ausdrücke beziehen. Die Logik bleibt deshalb in diesem geschlossenen System und spielt mit den Begriffen und Erklärungen, die sie hierin findet; aber sie erklärt niemals unser Sein! Das Sein und unser Lebensgefühl sind anderswo verankert. Doch weil unsere Welt scheinbar – und für alle offensichtlich – über all die Erklärungen und Begrifflichkeiten definiert wird, erhalten wir den trügerischen Eindruck, dies sei das Hier+Jetzt. Sämtliche anderen Aspekte des Lebens werden ausgeblendet und wir verlieren das Gefühl hierzu – unseren eigentlichen Draht zu unserem Sein, das verwurzelt ist in den erweiterten Bewußtseinsbereichen. Und da wir den Draht zu den erweiterten Bewußtseinsbereichen verlieren, fokussieren wir uns auf das, was uns stattdessen als Bezugssystem angeboten wird: das rationale Denken.

Doch die Ratio ergibt jeweils erst in der Rückschau einen Sinn und entfaltet hier ihren Wert: Wenn wir irgendwann Erfahrungen machen, die mit den erweiterten Bewußtseinsbereichen verbunden sind, wäre die Ratio ggf. hinterher in der Lage, hierfür Erklärungen und Erklärungsmodelle zu finden über Aspekte, die bereits durch das direkte Erleben intuitiv begriffen wurden. Die Ratio und unser Denken in Begrifflichkeiten bietet dann die Möglichkeit, uns auch jene Erlebnisse zu erklären und in einen logischen Zusammenhang zu setzen. Erst dann sind wir zufrieden.

Denken-3a_SNIP_1432948_Maklay62Erklärungen ohne entsprechende Erlebnisse erklären deshalb gar nichts, denn ihnen fehlt jene innewohnende Erkenntnis, die wir nur im lebendigen Ausdruck, in einem körperlichen Erleben haben. Und Erlebnisse, die wir uns nicht erklären können, hinterlassen in uns eine Unzufriedenheit, weil wir das Gefühl haben, wir wüßten nicht wirklich was wir tun. Erst durch die Verbindung von beidem fühlen wir uns „satt und zufrieden“, haben wir das Gefühl, tatsächlich etwas be-griffen zu haben.

Das kleine „Problemchen“, an dem wir knabbern liegt darin, daß wir die Ratio erst erlernen müssen, was jedoch auf Kosten des „direkten Begreifens durch unser Erleben“ geht. Wenn wir das Denken in Begriffen – unsere Ratio – erlernt haben, bewegen wir uns fast ausschließlich in diesem Automatik-System unserer Gedankenprozesse. Es ist, als würde sich eine Blase um die Ratio schließen, die alles andere an Lebenserfahrungen aussperrt. Das hat zur Folge, daß wir ausschließlich nur noch dieses Bezugssystem als relevant betrachten und schlußendlich unsere Automatikgedanken für das Hier+Jetzt halten: weil wir irgendwann in unserer eigenen selbstgebastelten Ratio-Blase eingeschlossen sind und der Zugang zu den erweiterten Bewußtseinsbereichen schwächer wird, je älter wir werden – im Gegensatz zu kleinen Kindern, die sich vorwiegend im System des direkten Erlebens und Begreifens bewegen. Deshalb können wir zwar tolle neue Sachen entwickeln und uns neue Sozialsysteme ausdenken, doch die erweiterten Bewußtseinsbereiche bleiben außen vor.

Unsere Ratio fängt erst wieder an, wirklich Sinn zu entfalten, wenn wir durch irgendwelche Erlebnisse wieder in die erweiterten Bewußtseinsbereiche vorstoßen und wir dann ggf. den Wunsch haben, uns diese erklären zu wollen. – Falls wir nicht, wie zumeist geschehen, jene Erlebnisse sofort als „skurril“, „irrelevant und irrational“ usw. deklarieren und sofort wieder aussperren aus unserer gewohnten Ratio-Blase…

(Spax  21.10.17)

Siehe hierzu auch den Beitrag vom 19.11.17: Gedanken-Schraubstock.

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