Existenz

7. Januar 2017 at 03:28

Hubble_zwei Augen_golden_SNIP1Existenz – was ist Existenz? Das ist echt eine spannende Frage. Existenz ist Bewußtsein, der Ausdruck von Bewußtsein. Ja, aber das erklärt nichts. Es erklärt nicht, wie ich dazu komme, mich überhaupt als „Ich“ zu fühlen, mich als existierend wahrzunehmen. Einmal ins Leben gesungen, existiert man für ewig. Das an sich ist ja schon krass. Aber wie soll es gehen, daß aus einem Nicht-Existierenden etwas Existierendes entsteht? Ich glaube nicht, daß das möglich ist. Denn entweder existiert etwas oder es existiert nicht. Und ein Existierendes kann nur entstehen aus einem bereits Existierenden. Wo nichts ist, kann nicht plötzlich etwas existieren, denn das Nichts ist und bleibt für alle Ewigkeit ein Nichtexistierendes, es kann aus sich heraus nichts erschaffen, weil dafür irgend etwas existieren müßte, worauf dieses Erschaffene sich gründet. Also kann ein Existierendes niemals aus einem Nichts heraus geschaffen werden, sondern immer nur aus etwas, was bereits existiert (z.B. einer Idee).

Die Frage stellt sich dann, ob es überhaupt ein Nicht-Existierendes gibt oder ob dies lediglich eine Vorstellung des Dualitätsprinzips ist, welches stets einen Gegenpol verlangt für alles Existierende, und so auch für die Existenz selbst. Das ist die Frage: Gibt es ein Absolutes, ein Einziges, das eben gar keinen Gegenpol besitzt und das so genannte Nichts lediglich eine Erfindung des Dualen ist?

Doch man kann ja so etwas wie ein „Nichts“ empfinden, zum Beispiel die „Leere“, von der Buddhisten öfter sprechen. Die Leere, das Nichts. Ich hatte das selbst auch schon, diese Empfindung; es ist eine Wahrnehmung im Sinne von „Ich bin Alles und ich bin Nichts“. Man empfindet das gleichzeitig. Doch jetzt würde ich sagen, daß das, was man in solchen Augenblicken als „Nichts“ wahrnimmt, ist eben nicht ein Nicht-Existierendes, sondern ein Aufgehen der eigenen Wahrnehmung in dem Wahrgenommenen, ein Verschmelzen mit Allem-was-Ist. Die Erklärung wird hierbei ja eigentlich mitgeliefert, denn wenn ich verschmelze mit Allem-was-Ist, bedeutet dies ein Verschmelzen mit allem Existierenden. Was als „Nichts“ empfunden wird, ist das Aufgehen in dieser All-umfassenden Wahrnehmung; und was hier empfindungsmäßig „verschmilzt“ ist der persönliche Ich-Ausdruck, das persönliche Ich-Empfinden.

Weil man in einem solchen Moment mit allem Existierenden gleichzeitig verbunden ist, tritt der persönliche, der spezielle Ich-Ausdruck in den Hintergrund. In solchen Momenten weiß man, daß man unweigerlich mit allem Existierenden stets verbunden ist und weiß, daß man sich in das Erleben, in die Wahrnehmung eines jeden Existierenden einklinken kann. Doch es ist nicht ein Nichts! Die Nichts-Empfindung rührt in der Erkenntnis, in der all-umfassenden Schau, die keinerlei Handlungsimpuls offeriert, in einer Bedürf­nis-losigkeit.

In solchen Momenten weiß ich, ich könnte alles sein, darstellen, ausdrücken, was mir beliebt und daß alles dieselbe Wertigkeit hat und der jeweilige persönliche Ausdruck mit einer spezifischen Sichtweise (Fokus) verknüpft ist, aus der heraus man das jeweilige Erleben und die jeweilige Welt betrachtet. Durch das Nichts-Empfinden lege ich daher meine persönliche Schau, meine individuelle Brille ab, mit der ich gelernt habe, Dinge zu unterscheiden. Doch unterscheiden tun sich sämtliche Dinge ausschließlich ihrem persönlichen Ausdruck nach, nicht in dem, was sie sind im Kern: Bewußtsein, das wahrnimmt. Durch das „Nichts-Empfinden“ wird also nicht tatsächlich ein Nichts wahrgenommen, sondern die individuelle Blickrichtung abgelegt, die stets bestimmte Dinge aus Allem-was-Ist aussondert und auf individuelle Weise betrachtet und untersucht. In gewisser Hinsicht hört in einem derartigen Moment meine Welt, wie ich sie bislang erlebt und betrachtet habe, auf zu existieren, denn meine spezielle Erlebens- und Sichtweise geht auf in den Zusammenhang des Großen und Ganzen. Aber ein Nichts ist dies nicht.

Balance_yin-yang_SNIP_johnhainInteressant finde ich in diesem Zusammenhang, daß die Physiker sagen, unser Universum sei aus einer „Singularität“ entstanden. Das trifft es ganz gut. Und demnach stellt sich die Frage, aus welchem Impuls heraus dann überhaupt all die ungezählten verschiedenen Wahrnehmungen und Wesenheiten ins Leben gelangt sind, wenn es eben in der allumfassenden Schau des Alles-was-Ist keine Impulse gibt. Vergleiche ich dies mit meinem eigenen Erleben diesbezüglich, so muß ich sagen, daß trotz des Aufgehens der Individualität in Allem-was-Ist dennoch im Hintergrund die ehemalige Ich-Persönlichkeit oder zumindest das Ich-Empfinden erhalten bleibt. Ansonsten wäre es mir ja garnicht möglich, aus solch einem Zustand wieder „in mein normales Leben“ zurückzukehren. Was also verschmilzt in einem solchen Moment ist lediglich die Wahrnehmung und das Empfinden, nicht aber das Ich an sich. Würde das Ich sich auflösen in einem solchen Moment, würden wir sterben, denn eine spezifische Perspektive oder Welt oder mich als Person kann ich ausschließlich wahrnehmen, mit jenem mysteriösen Gefühl der Existenz: Ich bin.

Weil wir im Kern allesamt Kopien sind des Gesamtbewußtseins, aus dem alles hervorgeht, muß auch das Gesamtbewußtsein entsprechend ein Empfinden von Existenz beinhalten und daher ebenfalls irgendwo ein Ich-Empfinden besitzen. Was die Frage angeht, was für eine Art Ich-Empfinden das sein soll oder in welchem größeren Zusammenhang sich Alles-was-Ist empfindet oder eingebettet ist, entzieht sich glaube ich zur Zeit noch unserer Wahrnehmung. Es ist eine Denk- und Wahrnehmungsgrenze, die uns zur Zeit nicht zugänglich ist. Doch auch jener größere Zusammenhang kann ebenfalls kein Nichts sein, sondern ist definitiv ein Existierendes, denn nur ein Existierendes kann etwas Existierendes hervorbringen.

Ein wenig sind wir vermutlich auch von einem „Nichts“ oder einem „leeren Raum“ besessen, weil wir unsere Wahrnehmung dahingehend spezialisiert haben, daß wir „Lücken“ wahrnehmen: Raum. Doch ich wage zu behaupten, daß jegliche Wahrnehmung eines Raumes ein Produkt ist der Dualität und daher gekoppelt mit der Zeit. Denn erst wenn ich hypothetisch Dinge voneinander trenne, entsteht ein A und ein B – und damit ein Raum dazwischen sowie eine Zeit, in der ich theoretisch diesen Raum durchmessen könnte. Schrumpfe ich jedoch alles wieder auf eine Singularität zusammen und sage beispielsweise es existiere ausschließlich A und hierin sei alles andere enthalten, verschwindet die Dualität und somit Raum und Zeit.

(Spax  7.1.17)

Siehe auch Beitrag vom 5.1.17: reflektierende Wahrnehmung.

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Fußnoten

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