Ein kalter Hauch

18. Juni 2014 at 03:17

Desintegration_anaglyph-102548_640Trau­rig – nicht „we­gen“ ir­gen­det­was, son­dern weil die Trau­rig­keit eben­falls zum Ge­samt­be­wußtsein gehört und eben­so über­all im Uni­ver­sum zu fin­den ist wie die Freu­de. Und ge­nau­so­vie­le Tränen, die wir nicht ge­weint ha­ben, gibt es La­cher, die wir nicht ge­lacht ha­ben. Öff­net man sich, wird al­les glei­chermaßen frei­ge­setzt. – Es ist, als würde ich je­ne des­in­te­grie­ren­de Kraft1 spüren – wie sie mit ei­ner un­ge­heu­er­li­chen Wucht auf mich, uns, den mensch­li­chen Körper bzw. das mensch­li­che Sys­tem, ein­wirkt. Crus­hing. Zerstörend, auflösend. Aber so muß es sein, da­mit et­was neu­es ent­ste­hen kann. Nicht nur all je­ne Din­ge los­las­sen, die man nicht mag und die so zahl­reich sind, son­dern – und eher sind hierfür un­se­re Tränen – al­les, was so wun­der­wun­derschön ist, all die Lie­be, aus der al­les be­steht; die Lie­be mei­ner Mit­menschen, die Lie­be der Er­de, die­ses zau­ber­haf­ten Pla­ne­ten; die Lie­be selbst all je­ner, die ich we­der se­hen noch spüren kann; die Lie­be von Tie­ren und Pflan­zen. Das Wun­der Mensch, das Wun­der Er­de, den Zau­ber von 3D – al­les los­las­sen… Das ist ein we­nig trau­rig auch, selbst wenn es zeit­gleich auch wun­derschön ist, auf die­se Trans­for­ma­ti­on zu­zu­lau­fen.

Je­nes Gefühl von Trau­rig­keit kommt auch im­mer dann auf, wenn sich Aspek­te von mir neu sor­tie­ren in mir. Ei­ne des­in­te­grie­ren­de Kraft, die un­aufhörlich auf uns bläst wie ein zar­ter aber eis­kal­ter Luft­hauch; so fühlt sich das an. Und nur da­durch, daß die­se Kraft ste­tig auf uns ein­wirkt, ver­schiebt sich et­was in uns.

Wir sind ins­ge­samt so störri­sche We­sen, daß es scheint, wir bestünden aus­sch­ließlich aus un­se­ren Ge­wohn­hei­ten. Frei­wil­lig verändert nie­mand auch nur das ge­rings­te Jo­ta an sich selbst. Doch da­durch, daß ste­tig je­ne des­in­te­grie­ren­de Kraft auf uns ein­wirkt und je­ner fort­ge­sperr­te Teil in uns die­ser Kraft stets ant­wor­ten möchte, ent­steht ein Span­nungs­verhält­nis, das man als Zug emp­fin­den kann. Über die­ses Drängen von In­nen nach Außen sagt Don Ju­an,2 wir hätten ei­ne Kraft in uns, die stets dem To­de zu­strebt; und ge­nau dies ist die Kraft, die ant­wor­tet. Da­her tra­gen wir sie zeit­gleich bei­de in uns, die­se Kräfte: die Le­ben ver­lei­hen­de so­wie die Zerstöre­ri­sche bzw. „Le­ben trans­for­mie­ren­de“ könn­te man sie präzi­ser nen­nen.

(Spax 18.6.14)

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Fußnoten

  1. Ein Aspekt, der bei Ca­sta­ne­da be­schrie­ben wird.
  2. Spi­ri­tu­el­ler Leh­rer von Ca­sta­ne­da. (siehe Inspiration: Bücher)