Der Eagle

13. April 2017 at 04:47

Eagle_SNIP-956573_Alexas_FotosCastaneda-Text1

Gestern habe ich noch Interviews mit Castaneda und anderen aus seiner Gruppe im Internet gefunden.2 In dem einen Text, der eine Passage aus der spanischen Ausgabe von The Eagles Gift3 enthält, die in der englischen Version nicht abgedruckt ist, werden energetische Zusammenhänge – wieder auf äußerst „technische“ Weise – erklärt. Da wird gesagt, der Fokus in unsere 3D-Zusammenhänge hinein sei so stark (a command), daß wir sogut wie gar keine Möglichkeit hätten, davon abzuweichen. Die einzige Möglichkeit für eine alternative Weltsicht wäre, wenn wir mit anderen Ansichten konfrontiert würden, die uns zeigen, daß wir innewohnend noch eine andere Sicht- und Erlebensweise von Bewußtsein besäßen als unser antrainiertes Alltagsbewußtsein.

Doch wenn der Command so stark, so zwingend ist, fragt man sich, wie überhaupt einmal jemand diese andere Möglichkeit entdeckt hat. Das kann ja nur aus ganz alten Zusammenhängen herrühren, aus Zeiten, wo die Menschheit noch vorwiegend in der Zweiten Aufmerksamkeit4 zentriert war und von daher grundlegend noch wußte um ihre Verbindung mit dem Higher Self. In Gruppen, die sich zumeist bewußt mit derlei Prozessen und Erkenntnissen über das Bewußtsein beschäftigten, wurde dieses Wissen dann kontinuierlich weitergegeben. Doch ist es ja auch möglich, ohne die Hilfe eines spirituellen Lehrers zu diesen Erkenntnissen zu gelangen; zum Beispiel, wenn jemand bestimmte Erlebnisse hat oder vielleicht in ursprünglichen Stammesgesellschaften, wo diese Dinge bis heute lebendig sind.

Bei unserem Alltagsbewußtsein, wie wir es heute kennen, wird eine künstlich erschaffene Weltsicht über das ursprüngliche Erleben gelegt. Zeitgleich bleibt aber natürlich die ursprüngliche Weltsicht, die im Higher Self zentriert ist, der Ausgangspunkt. Denn wir sind im Hintergrund immer mit unserem Higher Self verbunden. Lediglich in unserer antrainierten Gedanken- und Vorstellungswelt haben wir uns etwas anderes eingeredet und eingeübt. Das bedeutet: Die hierdurch von uns entwickelte Zweitpersönlichkeit, die sich mit den Gedanken identifiziert, anstatt mit dem Erleben, bildet jenen „zwanghaften Fokus“, der unsere spezielle Weltsicht steuert – nicht unbedingt unser Alltagsleben an sich. Denn wenn dem so wäre, und die 3D-Erfahrung hätte grundlegend die zwanghaften Vorstellungen der künstlichen Zweitpersönlichkeit als Grundbeat, so wäre es uns garnicht möglich, hiervon auch wieder Abstand zu nehmen und zu der Verbindung mit unserem Higher Self zurückzugelangen.

mexikanisch_Adler-Kopf_rot-gelb_SNIP-2_für BlogDas bringt mich wieder einmal zu den Beschreibungen des Eagle, der bei den Zauberern eine solch große Rolle spielt. Und erneut gelange ich zu dem Schluß, daß das, was die Zauberer als „Eagle“ beschreiben und energetisch wahrnehmen, sozusagen der Motor und Ausgangspunkt ist für unser Training in die Zweitpersönlichkeit hinein und unserer Identifikation hiermit. Es kann auch garnicht anders sein, denn sonst hätten wir ja grundlegend überhaupt nicht die Möglichkeit, uns „am Eagle vorbeizumogeln“, hinein in die Freiheit des nichtphysischen Bewußtseins – der Verbindung mit unserem Higher Self –, wenn der Eagle mitsamt seinen Commands und energetischen Ausformungen etwas wäre, das Bewußtheit verleihen würde, wenn der Eagle Alles-was-Ist wäre. Ist er aber nicht.

Es handelt sich bei dem Eagle der Zauberer um eine künstlich installierte Energieform, die auf eine bestimmte Weise auf unser Bewußtsein einwirkt. Nur aus diesem Grund können die Zauberer so etwas wie einen „Eagle“ überhaupt wahrnehmen, als eine Art „Maschine“ oder eben energetische Installation, als etwas Dinghaftes. Diese Art der Wahrnehmung ist jedoch bezogen auf Alles-was-Ist nicht möglich! Alles-was-Ist als Urgrund all unseren Bewußtseins und unserer Wahrnehmung kann zwar erfahren werden, aber niemals beschrieben werden als etwas Dinghaftes, denn es ist innerlich nicht getrennt von uns, sondern das, was wir im Kern sind.

Diese dinghafte Sichtweise ist der Grund, weshalb die Zauberer sagen, der Eagle böte ebenfalls die Möglichkeit, sich an diesem vorbeizuschleichen, wenn man aufwache – oder mit den Worten der Zauberer: ein tadelloses Leben führe (impeccability).5 Doch ist es nicht „der Eagle“, der diese Möglichkeit bereithält, sondern die direkte Verbindung mit Allem-was-Ist, mit unserem eigenen Higher Self oder persönlichen Bewußtsein, die jedem Wesen innewohnt. Diese direkte Verbindung hat nicht das geringste zu tun mit jener künstlichen Installation, die die Zauberer als „Eagle“ beschreiben. Erneut muß ich feststellen, daß die Zauberer leider etwas zu sehr fixiert waren mit dieser Form, mit der Energiekonfiguration, die bei ihnen als „Eagle“ fungiert.

Da frage ich mich doch, ob es nicht generell eben auch ein Nachteil ist, wenn man – wie die Seher bei Castaneda – Energie direkt wahrnehmen kann; denn wir neigen doch in all unseren 3D-Vorstellungen sehr dazu, uns an derlei dinghafte Beschreibungen und Wahrnehmungen zu klammern. Wir sind total besessen und paralysiert hiervon. Daher bin ich froh, daß ich all diese energetischen Muster, wie sie bei den Zauberern beschrieben werden, nicht auf eine solche Art sehen kann, die eine dinghafte Beschreibung ermöglicht. Ich kann lediglich all die Auswirkungen energetischer Prozesse in mir wahrnehmen – das ist, was mich weiterbringt und worauf es meiner Ansicht nach ankommt. Denn sobald ich z.B. durch mein „inneres Sehen“ Energiekonfigurationen als Muster, Linien oder einem Eagle wahrnehmen würde, so landete ich in der Falle etwas beschreiben zu wollen, was ich als getrennt von mir wahrnähme.

Illusion-1_SNIP-662319_uroburosDiesbezüglich hatten die Zauberer leider eine extreme Fixierung. Das habe ich in einem anderen Beitrag6 auch schon erläutert: Erst trainieren sie sich dahin, all diese energetischen Konfigurationen auch „bildlich“ wahrnehmen zu können – was ohne Frage eine exquisite Erreichung ist –, um sich dann im Angesicht dieser Wahrnehmungen hiervon wieder lösen zu müssen. Das erscheint mir doch recht kompliziert und stellt meiner Ansicht nach einen Umweg dar. Natürlich haben die Zauberer mit Hilfe ihrer eigenen Form einer alternativen Weltbeschreibung und des Aufwachens den gesamten Prozeß des Aufwachens durchlebt und für sich nutzen können. Doch all diese komplizierten Beschreibungen oder Wahrnehmungen sind hierfür nicht nötig; ich meine sogar, sie stellen eine zusätzliche Behinderung dar.

Doch das ist ja generell das Problem, wenn das Aufwachen gelehrt oder erklärt werden soll: Es geht nicht! Man kann es nicht erklären, sondern nur erfahren. Wenn aber andere Unterstützung beim Aufwachprozeß erhalten sollen, so müssen Erklärungen gefunden werden. Daher wird der Prozeß des Aufwachens von Lehrern auf die unterschiedlichsten Weisen erläutert, auch wenn klar ist, daß all die Erklärungen nicht das geringste erklären und zudem grundsätzlich falsch verstanden werden müssen, solange jemand eben noch nicht aufgewacht ist. In diesem Zusammenhang ist es egal, ob man dann Bilder eines „Eagle“ bemüht, vom „Großen Geist“ spricht, Beschwörungen verwendet werden oder „das Abstrakte“ mit ins Spiel gebracht wird etc., denn nichts von alledem wird einem Nicht-Aufgewachten auch nur irgendetwas erklären. Im Gegenteil, die Erklärungen füttern bloß weiter die intellektuellen Hirnwindungen. Das einzige, was tatsächlich von Nutzen ist, ist stets: die eigene Erfahrung. Denn ausschließlich über eine körperliche Erfahrung kann ich neues Wissen oder neue Erkenntnisse erlangen und verankern.

All diese energetischen Erläuterungen der Zauberer lassen meiner Meinung nach die Sache, um die es geht – das Aufwachen – nur noch unerreichbarer erscheinen. Denn zum einen glaubt ein Schüler ja, er könne das Aufwachen oder die Freiheit des Bewußtseins erst erreichen, wenn er selbst dieselben Wahrnehmungen oder Erreichungen hat wie seine Lehrer. Zum anderen hat jedoch niemand, der noch nicht aufgewacht ist, einen adäquaten Bezugspunkt für eigene Erfahrungen, die hier weiterhelfen könnten. All das läßt die Zauberer „kapriziös“, ein bißchen mysteriös und abgehoben erscheinen, weil Bezugspunkte im eigenen Alltagserleben fehlen. Deswegen halte ich es für sinnhafter, Erklärungen und Handlungsmodelle zu finden, die mein Gegenüber auch begreifen kann, wo er bei sich selbst ansetzen kann.

(Spax  13.4.17)

Siehe hierzu auch Beitrag vom 3.7.16: Metaphern.

Siehe hierzu auch Beitrag vom 6.7.16: Ist Erkenntnis mit-teilbar?

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Fußnoten

  1. Dies ist ein Beitrag, der sich auf die Schriften Castanedas bezieht. Möglicherweise ist der Beitrag daher nur verständlich, wenn man mit dessen Schriften vertraut ist (siehe Bücher); denn die spirituellen Lehren dieser Zauberer folgen einer ganz eigenen Herangehensweise, wobei sie sich entsprechend einer eigenen Terminologie bedienen. Da die Lehren sehr komplex sind, ist es mir an dieser Stelle leider nicht möglich, diesbezüglich in Kürze sämtliche Hintergründe und Zusammenhänge aufzuzeigen.
    Carlos Castaneda machte eine spirituelle Ausbildung in einer Gruppe von Sehern, die sich auch als „Zauberer“ oder „Krieger“ bezeichneten. Seine Lehrer waren vor allem Don Juan und Don Genaro.
  2. Siehe Transkripte der Interviews auf der Internet-Seite Vision of the Nagual.
  3. Carlos Castaneda: The Eagles Gift, Arkana 1992 [1981]; (deutsch: Die Kunst des Pirschens).
  4. Erste/Zweite Aufmerksamkeit: Begrifflichkeiten, die in den Lehren von Don Juan, dem spirituellen Lehrer von Castaneda, verwendet werden. Die „Erste Aufmerksamkeit“ bezeichnet unser Tagesbewußtsein, die „Zweite Aufmerksamkeit“ gleicht unserem Traumbewußtsein.
  5. Impeccability: Ein Begriff, der bei den Zauberern verwendet wurde für „tadelloses Verhalten“.
  6. Castaneda-Beiträge vom 6.7.16: Ist Erkenntnis mit-teilbar?; sowie vom 3.7.16: Metaphern.