Bewußtheit für Fortgeschrittene

17. April 2017 at 03:45

Denken-2_binary-SNIP_geraltCastaneda-Text1

Meine Widerstände sind immens. Warum? Weil ich nicht verbunden bin. Es gibt immer und überall nur diese eine Aufgabe: die Stille in mir zu finden. Mich mit meiner inneren Stille zu verbinden. Bin ich verbunden mit meiner inneren Stille, so bringt Silent Knowledge2 meine Aktionen, Handlungen und Worte hervor – immer weise, immer im Jetzt.

Die Zauberer sagen, man müsse auch das Kognitive, die Ratio gut entwickeln, denn erst durch diese Möglichkeit der Reflektion seien wir in der Lage, Erkenntnis über unser Traumbewußtsein3 zu erhalten. Wäre unsere Ratio nicht gut ausgebildet, so würden alle Erlebnisse und Erfahrungen, die aus dem Traumbewußtsein hervorgehen, auf der intuitiven Ebene steckenbleiben. Das stimmt. Und wenn ich mir etwas nicht erklären kann, wenn ich nicht genau benennen kann, was meine intuitive Seite ist, wie sie sich verhält, so kann ich sie auch nicht absichtsvoll handhaben oder ich müßte sagen „Ich weiß nicht, was ich tu′“. Denn man kann die intuitive Seite durchaus einsetzen und leben, ohne daß ich genau weiß, was sie ist oder tut. Kleine Kinder und Babys sind das beste Beispiel.

Hätten wir nicht diesen Hunger nach Erkenntnis, würden wir dieses eigenartige 3D-Spiel des Getrennseins nicht spielen. Alles nur, um uns unserer wahren Natur bewußt zu werden. Denn im Einheitszustand habe ich keine Veranlassung, nach Erkenntnissen zu suchen, weil ich eingebettet bin in die Seins-Wahrnehmung von Allem-was-Ist; und diese Wahrnehmung enthält automatisch alle Erkenntnis. Aber sich den Zustand der Verbundenheit erklären zu können, und benennen zu können, was die Intuition und die Impulse beinhalten, dafür muß ich mich ins Kreuzfeuer mit der Getrenntheit begeben. Hierbei gilt: erst nach einer stattgefundenen Aktion kann ich diese in den größeren Zusammenhang setzen und – sofern meine Ratio gut trainiert ist – mir auch erklären. Denn erst, wenn ich mir die Vorgänge auch erklären kann, habe ich eine Art Kontrolle darüber und kann die Mechanismen bewußt und gezielt einsetzen.

Auf diese Weise lerne ich, mein Traumbewußtsein ebenso zu lenken wie meinen Alltag. Um diese Art der Kontrolle zu haben und nicht einfach hin und hergeworfen zu werden – im Alltäglichen wie im Traumzustand –, benötige ich Kenntnis über die Funktionsweise meines Bewußtseins. Wenn ich weiß, wie mein Bewußtsein funktioniert, kann ich mich überhaupt erst mutig „dem großen Nichts“, der „Immensität des Universums“, wie Don Juan es nennt, entgegenstellen und freiwillig hineinspringen. Man übt die Handhabung des Traumbewußtseins genauso wie die des Alltagsbewußtseins – Schritt für Schritt. Manche springen voller Enthusiasmus hinein in die Zweite Aufmerksamkeit (Traumbewußtsein); falls sie aber ihre Ratio nicht gut ausgebildet haben, gehen sie auf darin und verlieren sich sozusagen in den unendlichen Ausdrucksformen und Möglichkeiten des Traumbewußtseins, diesem riesigen Reich der Wahrnehmung.

Parallel-Linien_Grenzlinien des BewußtseinsDas bedeutet doch, man hat noch nicht die „Totalität des Selbst“4 erlangt, wenn man nach dem Überschreiten der ersten Wahrnehmungsgrenze auch die zweite Grenze (hinein in die Zweite Aufmerksamkeit) überschritten hat. Zunächst überwindet man die Grenze des Denkens, erkennt die Möglichkeiten, aber auch das Hindernis, das unser Denken darstellt. Mit dieser „ersten Überschreitung“ landet man in einem Zwischenbereich, den die Zauberer auch als „Vorhölle“ bezeichneten, denn man schwankt stets hin und her zwischen Tages- und Traumbewußtsein; mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung. Überschreitet man die zweite Grenze, landet man im Traumbewußtsein und das Alltagsleben erhält eine Art „magische Ausrichtung“. Doch genauso wie man sich in all den zahllosen Dingen der Alltagswelt verlieren kann, verliert man sich hier. Hinter diesem „Tor“ bzw. dieser Grenze seien die Zauberer der alten Linie5 steckengeblieben. Sie hätten sich so stark mit den „Traumrealitäten“ identifiziert, daß sie nicht mehr hinausfänden.6

Achja, ein wesentlicher Punkt: Man identifiziert sich mit der jeweiligen Wahrnehmung. Das ist der Grund, weshalb wir im Alltagsbewußtsein vorwiegend mit dem äußeren Selbst konfrontiert sind, während wir uns in der Zweiten Aufmerksamkeit identifizieren als eine Art „magische Persönlichkeit“, welche auf andere Weise ihre wahrgenommene Realität beeinflußt. Doch mir fehlt bei dieser Beschreibung und bei diesem Bild die dritte Möglichkeit, das Aufwachen aus beiden „Illusions“-Welten. Denn das Aufwachen geht über beide Wahrnehmungen hinaus, fusioniert sie zu dem, was ich „Einheitszustand“ nenne. Erst mit dem vollständigen Aufwachen habe ich die Fähigkeit erlangt, meine Erkenntnisse und Fähigkeiten beider Bewußtseins-Seiten (Erste und Zweite Aufmerksamkeit) zu benutzen.

Die Handhabung der erlangten Erkenntnisse und Fähigkeiten geschieht im verbundenen Zustand dann auf eine scheinbar „unbewußte“ Art und Weise, denn in der Totalität des Selbst (im bewußt-aufgewachten Zustand) bin ich bewußt mit Allem-was-Ist, mit der Quelle allen Seins sowie meinem persönlichen Bewußtsein verbunden. Die Grundströmung für all meine Aktivitäten wird in diesem Zusammenhang bei den Zauberern „will“ oder „intent“ genannt: der Wille oder die Absicht, meinen Fokus zu setzen. Diese Art Wille bezeichnet hier den großen Fluß des Bewußtseins, mit dem ich nun verbunden bin; diese Art Wille bezeichnet das Loslassen allen eigenen Wollens, denn man weiß jetzt und spürt, daß das persönliche Bewußtsein stets vom Fluß des Gesamtbewußtseins getragen ist. Dadurch, daß ich – anstatt meinem angestrengten „Wollen“ zu folgen – mich in den „übergeordneten“ Willen des großen Stromes des Gesamtbewußtseins fallen lasse, antworte ich automatisch meinen Handlungsimpulsen, folge der Mühelosigkeit einer Bewegung, die bereits in mir ist. Ich lasse hierdurch die Entscheidung los, mich gegen meine Grund-Impulse zu stellen und übergebe mich dem ewigen Fluß.

Buddha-8-bunt_SNIP_doreen_kinistinoIrritierend bei diesem Erfahrungs-Prozeß ist, daß sich bestimmte geistige Fähigkeiten oder Handlungsmöglichkeiten ergeben, die mit der Zweiten Aufmerksamkeit verknüpft sind (z.B. Aura sehen, „Geistreisen“ etc.); denn genauso wie unser 3D-Körper mit unseren Handlungsmöglichkeiten in 3D verbunden ist, so ist unser Energiekörper mit den Handlungsmöglichkeiten des Traumbewußtseins verbunden. Durch das Aufwachen verbinden sich beide Körper zu einer Einheit, und deshalb haben wir „plötzlich“ diese anderen Fähigkeiten zur Verfügung. Aus diesem Grund halten sich manchmal Menschen für aufgewacht, weil sie auf Fähigkeiten des Traumbewußtseins zurückgreifen können. Doch genau wie beim Umgang mit dem Alltagsbewußtsein, das ebenfalls bestimmte Fähigkeiten mitbringt, muß ich in beiden Fällen oder eben grundsätzlich meine Identifikation mit diesen Fähigkeiten loslassen. Das bedeutet: Ich lasse die Kontrolle los, durch mein persönliches Bewußtsein einen Einfluß nehmen zu wollen auf meine Lebensrichtung, mein Handeln, alle meine Taten etc. Denn die Bedeutung des „Antwortens“ auf meine Impulse ist: Ich diskutiere die Impulse nicht, habe keinerlei Erwartungen an meine Handlungen und noch weniger eine Antwort auf die Frage, wo denn meine Handlung hinführen möge, welches Ergebnis oder Ziel meine Handlungen haben. Erst wenn ich das loslassen kann, bin ich frei, denn ich identifiziere mich dann weder mit meinen Fähigkeiten noch mit meinen Wahrnehmungen, identifiziere mich weder mit meinem 3D-Körper noch mit meinem Energiekörper, denn beide sind nur ein Werkzeug, um Bewußtsein auszudrücken, mehr nicht.

Aus diesem Grund ist es essentiell, grundsätzlich in beiden Aufmerksamkeiten7 die Beobachterposition einzunehmen, einen Schritt zurückzutreten, die Kontrolle loszulassen und mir selbst bei meinem Lebensausdruck zuzuschauen. Niemals geht es hierbei um Befindlichkeiten, denn der innere Beobachter hat keine Befindlichkeiten, er genießt stets seine Reise. Der innere Beobachter hat die Nüchternheit, die unbeeindruckt ist von den Erlebnissen oder Fähigkeiten, er ist sozusagen „die innere Ratio“. Unsere Körper – 3D- und Energiekörper – bilden die handelnde Einheit, die in Verbundenheit mit Allem-was-Ist hineinspringen in den Fluß und den Rausch des Lebens auskosten.

Letztlich bildet alles eine Einheit. Doch durch dieses Spiel des Getrenntheits-Erlebens erlangen wir überhaupt Erkenntnis über die Funktionsweise des Bewußtseins.

(Spax  17.4.17)

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Fußnoten

  1. Dies ist ein Beitrag, der sich auf die Schriften Castanedas bezieht. Möglicherweise ist der Beitrag daher nur verständlich, wenn man mit dessen Schriften vertraut ist (siehe Bücher); denn die spirituellen Lehren dieser Zauberer folgen einer ganz eigenen Herangehensweise, wobei sie sich entsprechend einer eigenen Terminologie bedienen. Da die Lehren sehr komplex sind, ist es mir an dieser Stelle leider nicht möglich, diesbezüglich in Kürze sämtliche Hintergründe und Zusammenhänge aufzuzeigen.
    Don Juan war der spirituelle Lehrer von Castaneda. Die Gruppe der Seher um Don Juan bezeichneten sich häufig als „Krieger“ oder „Zauberer“.
  2. silent knowledge (engl.): wörtlich „stilles Wissen“. Ein Begriff, der bei den Zauberern verwendet wird, um unsere direkte Verbindung mit dem Wissen von Allem-was-Ist zu beschreiben (siehe auch Bauchgedanken).
  3. Bei den Zauberern Second Attention (Zweite Aufmerksamkeit).
  4. „Totalität des Selbst“ ist eine weitere Begrifflichkeit bei den Zauberern  → siehe Bewußtsein: Unbewußtes.
  5. Wie bei Castaneda beschrieben, existierten die Zauberer bereits seit Jahrtausenden. In der Linie der Zauberer, wie sie von Don Juan beschrieben wird, gibt es eine Teilung, derzufolge die „alten Zauberer“ bis zur Invasion der Spanier in Mexiko (1519–21) wirkten. Durch die umfassende Zerstörung ihrer Kultur entwickelten die „neuen Zauberer“ danach andere Ansätze und Techniken sowie ein neues Grundverständnis ihrer Lehre.
  6. Siehe hierzu auch ein Interview mit Taisha Abelar; sie war Schülerin von Don Juan sowie Angehörige der Zauberer-Gruppe von Castaneda.
  7. Alltagsbewußtsein und Traumbewußtsein (Erste und Zweite Aufmerksamkeit).